aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 32-33

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aviso 2 | 2014
Quintensprünge
Colloquium
aviso 2 | 2014
Quintensprünge
Colloquium
Der Leitspruch der Bewegung lautet: Keine Tole-
ranz den Intoleranten! Das ist schön für eben den,
der die Definitionsmacht hat, der also bestimmt,
wer »intolerant« ist, und deshalb seinerseits boy-
kottiert, diskriminiert, ausgegrenzt und manch-
mal körperlich angegriffen wird. Am Rande: Es
gibt sogar Rechts-»Wissenschaftler«, die eben dies
fordern: Dass keinen Antidiskriminierungsschutz
genießen soll, wer seinerseits einer diskriminieren-
denWeltanschauung folge. Der schwule Nazi darf
boykottiert werden. Auf diese Weise wird das Feind­
recht als Denkkategorie wiederbelebt: Wer sich
gegen das Recht (und also: gegen die Mehrheits-
meinung) stellt, büßt den eigenen Rechtsschutz ein.
In archaischen Gesellschaften trägt dieser Gedanke
die Blutrache: Wer Leben nimmt, verliert sein
Lebensrecht. Eine moderne und im Wortsinne
aufgeklärte Rechtsordnung macht die Rechte Ein-
zelner grundsätzlich nicht von deren Verhalten
abhängig. Menschen- und Bürgerrechte gibt es
unabhängig von der Gesinnung. Auch wer von
Stalin schwärmt und Margot Honecker für eine
Lichtgestalt hält, genießt Meinungs-, Berufs- und
Handlungsfreiheit. Der Staat darf zwar Rechte
entziehen, dem Steuerhinterzieher die Gaststät-
tenerlaubnis und dem koksenden Redakteur die
Fahrerlaubnis. Aber dort gibt es einen konkreten
Sanktionszusammenhang.
Über diese Grundfrage
muss sich jede Gesellschaft
immer auf ’s Neue verständigen: Wieviel Homo-
genität will eine Mehrheitsgesellschaft erzwin-
gen? Welche Abstrafungsinstrumente werden ge-
gen missliebige Meinungen, vor allem aber gegen
diejenigen geführt, die diese Meinung vertreten?
Schützen wir jene, die falsche, unsinnige Thesen,
krude Meinungen vertreten und damit den
öffentlichen Konsens durch Unruhe stören? Klima-
Leugner, Euro-Hasser und dergleichen? Die
deutsche Rechtslehre hat einst den Satz hervor­
gebracht, dass nur der Volksgenosse auch Rechts-
genosse sein kann. Modernisiert heißt das: Nur der
Gesinnungsgenosse ist Rechtsgenosse; wer sich mit
seinemDenken, Reden und Handeln außerhalb der
Gesinnungsgemeinschaft stellt, verliert den sozia­
len Geltungsanspruch und seinen Rechtsschutz vor
Diskriminierung und Ausgrenzung.
Verschärft: Krude Künstler und Wissenschaftler
Zur Nagelprobe kommt es, wenn der Abstrafungs-
und Erziehungsdrang Wissenschaft und Kunst
trifft, weil dort die Freiheit des Denkens, Fühlens
besonders geschützt ist. Wissenschaftler und Künst-
ler dürfen fast alles. Dennoch gibt es Versuche, ihr
Denken in »geordnete Bahnen« zu lenken: von
universitären Zivilklauseln über die Störung und
Unterdrückung von Vorträgen bis zum massiven
Protest gegen die Teilnahme von Studenten aus
demNPD-Milieu an Vorlesungen. Hier sollen For-
schungs- und Lernfreiheit unterbunden werden.
In jeder Hinsicht
gesteigert ist der Umgang mit
Valerij Gergiev: Dieser russische Dirigent tritt
politisch für seinen Präsidenten Putin ein. Zuerst
für eine Gesetzesinitiative, die nach russisch-
offizieller Lesart Kinder und Jugendliche vor
sexueller Zudringlichkeit bewahren soll und nach
deutschem Queer-Verständnis homophob ist.
Vergleichbar werden in Deutschland die Pläne
zur schulischen Geschlechtserziehung in Baden-
Württemberg diskutiert – wobei denjenigen, die
Sorge vor staatlicher Einmischung in die auto-
nome geschlechtliche Entwicklung äußern, bis-
lang kein Homophobie-Vorwurf entgegenschallt.
Die Abendzeitung meint: »Sollte Gergiev die
Erklärung mit voller Überzeugung unterschrieben
haben, kann er unmöglich ab 2015 der teuerste
Angestellte der Stadt München werden.« Volle
Überzeugung als Kündigungsgrund? Zweitens und
jüngst für die russische Krim-Politik, also die völ-
kerrechtswidrige Quasi-Annexion der Krim. Was
russische Künstler in Russland treiben, das geht
den Deutschen etwas an: jedenfalls dann, wenn
der Künstler in Deutschland auftritt oder gar – wie
Gergiev – ein deutsches Orchester leiten soll und
dafür vom deutschen Steuerzahler bezahlt wird.
Als designierter Chefdirigent der Münchner
Philharmonie unterliegt er scharfer Beobachtung.
Ein »rosa« Stadtrat meint, Gergiev habe »eine
Abmahnung verdient«. Eine Abmahnung für eine
Meinungsäußerung in Russland zur russischen
Politik? Weil der Anstellungsvertrag, der einen
Dienst ab 2015 vorsieht, zurückwirkt? Weil die
Antidiskriminierungsrichtlinien der Landes-
hauptstadt München erstens politische Meinungs­
äußerungen begrenzen und zweitens Weltgeltung
beanspruchen? Also künftig auch Iranern, Rasta­
faris und Türkischstämmigen mit Doppelstaats-
angehörigkeit vorgeben, wie sie sich in ihren oder
zu ihren Heimat- oder Herkunftsländern äußern
dürfen? Weil Münchener zur rosa Weltrettung
berufen sind? In der Tat wollen die Antidiskrimi-
nierungsregeln der Hauptstadt auf ein bestimm-
tes Menschenbild verpflichten und jedweder Aus-
grenzung begegnen. Das kommt dem Staat nicht
zu. Das Menschenbild ist frei und seinerseits von
der Weltanschauungsfreiheit geschützt und damit
vom Diskriminierungsschutz erfasst. Antidiskri-
minierungsrecht schützt nicht vor falscher Mei-
nung. Und auch nicht vor ausgrenzender Kritik.
Sondern nur vor Diskriminierung imArbeits- und
Geschäftsleben. Selbstüberschätzung, Größenwahn
und Gleichschaltungswollust sind das eine Prob-
lem. Dafür gibt es inMünchen eine leistungsstarke
Psychiatrie. Gegen rechtswidrige Antidiskriminie-
rungsregeln hilft Rechtsschutz.
Viel schlimmer ist die dahinter stehende Haltung
zur Kunst: Künstler sind frei. Aufführungsverbote
für Künstler falscher Gesinnung darf es nicht geben.
Peinlich war das Bayreuther Auftrittsverbot für den
Bassbariton Evgeny Nikitin – wegen einer Haken-
kreuztätowierung auf der Brust, die doch aber für
einen juvenilen Rocksänger in Russland andere
Zeichenkraft hat als für einen Deutschen und die
Nikitin zunächst nur unvollkommen übertünchen
ließ. Noch merkwürdiger: Das fanden viele richtig,
zumindest nachvollziehbar. Weil derjenige, der als
16-Jähriger kruden Gedanken mit einem kruden
Tattoo Ausdruck gab – konsequent lebenslang auf
dem Wagner-Hügel gesperrt sein muss.
Auch die rosa
Liste muss es ertragen, wenn ein Werk
sich über Schwule lustig macht, Verständnis für
Homophobie äußert oder Gesinnungsherrschaft
kritisiert. Kunst darf und muss irritieren, darf dem
Krieg positive Seiten abgewinnen, gar soldatisches
Heldentum verherrlichen oder der Diktatur das
Loblied singen. Oder umgekehrt einen »gerech-
ten« Krieg verdammen. Zumal Kunstwerke nicht
eindeutig sind und sein können, sondern provo-
zieren wollen und doppelbödig sind. Nur ertragen
das die schlichten Gemüter nicht. Das konnte man
1993 am anschwellenden Bocksgesang beobachten.
Auch damals schon: Boykottaufrufe und feuchte
Ausgrenzungsphantasien.
Aufgeklärte Kulturkreise beschränken diese beson-
dere Freiheit nicht auf das eigentliche künstlerische
Schaffen, sondern sprechen dem Künstler weite
Freiräume zu politischer Kritik und Meinung zu.
Diese Freiheit haben Künstler stets genutzt – von
Sartre bis Böll, von Handke bis Strauß. Dahinter
steht ein Recht auf Irritation der Mehrheitsgesell-
schaft, ein Recht auf Störung der Machthaber und
der hegemonialen Cliquen. Sie müssen es ertragen,
dass Künstler und insbesondere jene mit Erfolg
und Geltungsanspruch, gesellschaftliche Deutungs-
hoheiten in Frage stellen. Der Künstler hat keine
Macht – und darf deshalb [fast] alles. Er hat die
Rolle des Hofnarren übernommen, der den Spie-
gel des Spotts undWidersinns bereithält. Wie jede
Freiheit ist die des Künstlers auf (scheinbare oder
anscheinende) Unvernunft und Irrationalität aus-
gerichtet und muss sich keinemKonsequenzgebot
oder Widersprüchlichkeitsverbot stellen. Welcher
Künstler revolutionäre Bewegungen »woauch­
immer« unterstützt, trägt keine Verantwortung für
deren Grenzverletzungen (Mord, Folter etc.) und
auch nicht für spätere Fehlentwicklungen. Mehr
als Gegenrede und Kritik muss der Künstler in einer offe-
nen Gesellschaft nicht ertragen. So wie seinerzeit Handke
mit seinem »Serbenverständnis« und der Zeichnung eines
Künstlerappells zur Verteidigung von Slobodan Miloševi´c.
Wir kritisieren unfreiheitliche Staaten und Gesellschaften, die
ihre Künstler wegen deren Kritik drangsalieren und strafen –
von der VR China (Ai Weiwei) bis zur Türkei (Orhan Pamuk).
Nun ist Valerij Gergiev kein russischer Oppositioneller – son-
dern hält im Gegenteil Putins Politik für richtig. In Deutsch-
land ist er damit ein Außenseiter und also intellektuell weit-
aus interessanter als der hiesige Chor der Putin-Kritiker.
Erstaunlicherweise finden in unserer Gesellschaft jene Ver-
ständnis, die aus Rücksicht (Angst) vor wirtschaftlichen
Kollateralschäden von Sanktionen gegen Russland abraten.
Wer den Mumm hat, den Anschluss der Krim für richtig zu
befinden, der soll seinerseits boykottiert und wirtschaftlich
abgestraft werden? Das ist befremdlich und nährt den Ver-
dacht, dass Feiglinge sich risikoarm einen Putin-Freund für
solche Sanktionen aussuchen, für die ihnen gegenüber Russ-
land und Präsident Putin die mentale Kraft fehlt.
In der öden Lewitscharoff-Debatte ist nur eine bemerkenswerte
Sentenz gefallen. Der Chefdramaturg am Staatsschauspiel
Dresden äußerte öffentlich: »Ihre Worte sind nicht harmlos,
Frau Lewitscharoff. Aus falschenWorten wird falsches Denken.
Und dem folgen Taten. Deshalb sind es gefährliche Worte.«
Genau: Hier diagnostiziert einer das falsche Denken und
weiß also, wie man richtig denkt. Das ist nicht bloß totalitär.
Sondern leugnet im Kern die freie Kunst. Die medizinische
Fortpflanzungstechniken als widernatürlich empfinden darf
und sich die Frage stellen kann, was hieraus für solchermaßen
»produzierte«Menschen folgt. Die Bezeichnung »Halbwesen«
ist eine Zumutung. Aber darum geht es: was Kunst uns
zumuten darf, will und kann. Und was wir dementsprechend
zu ertragen haben, wenn wir Augen und Ohren nicht ver-
schließen wollen. Gergiev mutet uns seine befremdende Sicht
auf russische Politik zu. Das muss man nicht als kulturelle
Bereicherung durch einen Kunst-Immigranten gutheißen –
aber doch als zum Weiterdenken anregenden Störeffekt.
Allerdings ist solches Weiterdenken mühsam; man müsste
dann doch Russland und die Bedingungen russischer Politik
zur Kenntnis nehmen, um die Irritation auf sich wirken zu
lassen. Kenntnis strengt an. Die gesellschaftliche Aburteilung
von Störenfrieden weniger.
Der »Philharmonische Rat«
, ein beratendes Gremium aus Stadträten
und Musikern, schaltet sich ein. Räte zur Regulierung indi-
vidueller Meinungsäußerung. Gerechtfertigt und verbrämt
wird das mit der »Verantwortung in einer exponierten
Position imMünchner Kulturleben.« Fachkräfte für richtiges
Denken bringen dem exponierten Künstler bei, wie man in
Deutschland von seiner Freiheit verantwortungsvoll Gebrauch
macht.
Volker Rieble
lehrt Arbeitsrecht an der Ludwig-Maximilians-
Universität.
1...,12-13,14-15,16-17,18-19,20-21,22-23,24-25,26-27,28-29,30-31 34-35,36-37,38-39,40-41,42-43,44-45,46-47,48-49,50-51,...52
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