Der Lernprozess
„AmAnfang war es ein
echter Kulturschock“, erzählt Karin Schäfer. Die 17-
jährige Gymnasiastin aus Augsburg lebte 11 Monate
lang in Ecuador und ging dort auch zur Schule. „Im
Haus meiner Gasteltern standen zum Beispiel immer
dieTüren offen.Als ich meine Zimmertüre
schloss, fassten sie das als Unhöflichkeit auf.
Ein anderes Mal brachte ich zwei Jungs von
der Schule mit nach Hause, und wir spiel-
ten Gitarre in meinem Zimmer. Ich dachte
mir gar nichts dabei, aber meine Gasteltern
waren entsetzt.“
Wenn zweiWelten aufeinander prallen,
kann das ganz schön anstrengend sein. Es
dauerte einigeWochen, bis die Schülerin
aus Bayern die fremde Mentalität verste-
hen lernte und umgekehrt die Gasteltern
ein Gefühl für ihr „exotisches“ Familien-
mitglied entwickelten. Dann aber, so Karin,
habe sie sich doch erstaunlich schnell ein-
gelebt.Ausgehen, Freunde treffen, die
Schule besuchen, einkaufen,
alleine die öffentlichenVer-
kehrsmittel benutzen, im
Haushalt Arbeiten überneh-
men – alles das wurde bald
ganz normal. Fachleute be-
schreiben Karins neu erwor-
bene Fähigkeiten mit dem
Begriff „interkulturelle Kom-
petenz“ – eine Qualifikation,
die nicht zuletzt in der mo-
dernen Berufswelt immer
wichtiger wird. Denn wer in
der Lage ist, sich in einem
fremden Kulturkreis angemes-
sen zu verhalten und auf ein-
ZuHause in derWelt
Schuljahr im Ausland
heimische Gesprächspartner einzugehen, hat ein
großes Plus auf dem internationalen Parkett.Wich-
tige Grundlagen dafür sind Kontaktfreudigkeit,
Taktgefühl und die Bereitschaft, nicht überall deut-
sche Maßstäbe anzulegen.
DieVorbereitung
Ein Schuljahr in Latein-
amerika, Osteuropa oder auch in Ländern Afrikas
oder Asiens vermitteln verschiedene Organisationen
(s. Infokasten). Die Kosten betragen in der Regel für
ein ganzes Jahr zwischen 6.000 und 13.000 DM und
beinhalten Flug, Schulgeld,Versicherungen,Vorberei-
tungstage und die Betreuung vor Ort. In manchen
Fällen sindTeilstipendien oder Zuschüsse aus dem
Kulturfonds Bayern (s. Infokasten) möglich. Ein be-
achtenswertes Kriterium bei der Auswahl unter den
Anbietern kann unter anderem auch die Frage sein,
ob die Gastfamilie für die Aufnahme des Schülers
Geld erhält oder dies aus Idealismus und Gründen der
Völkerverständigung tut.
Als Zeitpunkt kommt vor allem die Jahrgangsstufe 11
des Gymnasiums in Frage. Sinnvollerweise
stellt man dafür an der eigenen Schule ei-
nen Antrag auf Beurlaubung. Nach der
Rückkehr können die Schüler sofort auf
Probe in die Jahrgangsstufe 12 vorrücken,
ohne wie bisher in den nicht weiter ge-
führten Fächern eine Feststellungsprüfung
ablegen zu müssen. DieVorbereitungs-
phase bis zur Abreise umfasst meistens ein
Jahr, so dass man also zu Beginn der 10.
Klasse Kontakt zu den Organisationen
aufnehmen sollte. Auch Haupt- und Re-
alschüler können in die Programme auf-
genommen werden – aus Altersgründen
sollten sie allerdings bereits die Schule ab-
geschlossen haben.
Immer mehr Schüler gehen während ihrer Schulzeit für ein
Jahr ins Ausland.Der Fremdsprache wegen wählen sie meist
die USA,Großbritannien oder Frankreich. Seltener sind
dagegenAufenthalte in einem so genannten Entwicklungsland.
Doch auch dort lässt sich eine Menge lernen.
Links oben:
Urwald im
Amazonas-Tiefland
Darunter:
Karin (ganz
rechts) und ihre Gastfa-
milie in Ecuador
Rechts oben:
Auch für
den Schulsport gibt es
eine eigene Uniform.
Rechts Mitte:
Die Gast-
schüler kommen aus
aller Herren Länder.
Rechts unten:
Einkauf
auf dem Straßenmarkt –
Alltag in Ecuador
– 4 01
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