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Fortsetzung von Seite 7

hergebrachte Zwänge und pa–

triarchalische Ordnung - kurz

das Gegenteil von moderner

Weltoffenheit "Mobilität" lau–

tete die neue Parole. Man hat

seinen Arbeitsplatz heute hier

und morgen dort und muß be–

weglich sein . Der Mensch der

modernen Industriegesellschaft

sitzt nicht mehr lebenslang auf

seiner "Scholle". Was hat also

Heimatunterricht noch an un-.

serenSchulen verloren?

Aber Heimat läßt sich nun

einmal nicht wegdiskutieren .

Selbstverständlich gibt es sie

auch in der modernen lndu–

striegesellschaft; denn Heimat

ist zeitlos. Wo immer ein Kind

aufwächst, entsteht in seinem

Inneren eine starke Bindung: zu

Menschen, die es mag, zu Häu–

sern und Straßen, die es kennt,

zu einer Sprache, die es ver–

steht, zu einem Raum, in den

es gehört, worin es sich zu

Hause und geborgen fühlt. Das

ist eine elementare Gegeben–

heit menschlichen Lebens.

Warum sie nicht pädagogisch

nützen?

Es gibt keinen vernünftigen

Grund, die Heimat in der Schu-

Was hat in einer modernen

Industriegesellschaft der Helmat–

unterricht noch zu suchen?

le links liegen zu lassen . Alle

großen Pädagogen der Neuzeit

waren sich darin einig, gleich

welche Lehrmeinungen sie

sonst vertraten . Darum über–

stand die Heimatkunde auch

die Krise, in die sie eine vor–

schnelle Kritik gestürzt hatte.

Nur der Name hat Zuwachs be–

kommen. Dieses zentrale Fach

der Grundschule heißt in Bay–

ern heute "Heimat- und Sach–

kunde" . Der erweiterte Name

weist darauf hin, daß es hier

eben nicht um weltfremde Hei–

mattümelei geht, sondern um

den Gewinn wirklichkeitsna–

her, lebenspraktischer Kennt–

nisse und Fähigkeiten - erwor–

ben am Beispiel der Heimat.

Die Begegnung der Kinder

mit ihrer Umwelt steht im Mit–

telpunkt. Das heißt wie eh und

je: raus aus der Schulstube! Er–

kundungsgänge und Besichti–

gungen bringen die kleine

Schar in die Natur, zum Fisch–

teich, in die Flußauen, zum na–

hen Wald . Was der unkundige

Betrachter vielleicht für Spa–

zier- und Müßiggang hält, ist in

Wirklichkeit Unterricht vor Ort

- auf gut Neudeutsch "outdoor

education".

über ihre Beobachtungen

8

Nurwaswir

schätzen gelernt

haben, das

schützen wir auch.

Dieser Satz war zu keiner

Zelt so aktuell wie heute;

denn noch nie waren die

Denkmäler unserer Heimat

stärker gefährdet.

Vom Verfall fast bis zur

Unkenntlichkelt gezeichnet

war auch das kurfürstliche

Pfleg- und Jagdschloß Kling

bei Wasserburg (rechts).

machen die kleinen Forscher

Notizen, besprechen jede Auf–

fälligkeit, bestürmen die Lehre–

rin mit Fragen. Die spontane

Hinwendung der Kinder zur

Natur ist kaum zu bremsen .

Wie ein starker Motor bringt sie

Schwung auch für die folgen–

den Unterrichtsstunden im

Klassenzimmer. Wenn die Na–

turbeobachtung nicht aus–

reicht, alle Fragen zu beant–

worten, machen die Kinder ein–

fache Versuche.

Zufällige Wahrnehmungen

werden jetzt ergänzt, überprüft,

geklärt und in einen größeren

Zusammenhang gestellt. So

wächst mit der Erfahrung Schritt

für Schritt auch das Denkver–

mögen . Ob Kinder Tiere beob–

achten oder Pflanzen pflegen,

sie lernen dabei nicht nur die

heimatliche Natur kennen, son–

dern stellen Ordnungen fest, er–

halten Einsichten in Lebensvor–

gänge und Gesetze.

Aber Heimatkunde führt die

Kinder nicht nur in die heile

Heimat. Der Gang zu einer wil–

den Müllkippe, das Fischster–

ben im Fluß wecken ihr Um–

weltbewußtsein, ihr Umweltge–

wissen - mehr als mahnende

Worte. Das ist aber noch längst

nicht alles. Die Heimat ist eine

unerschöpfliche Quelle des

Wissens: Granit und Sandstein,

Kalk, Lehm und Sand, die Kraft

des Wassers, die Wirkung des

Windes sehen und begreifen

die Kinder in der Landschaft.

Auch wie der Mensch sie än–

dert, seinen Zwecken unter–

wirft, von ihr abhängt.

Aber die Kinder beobachten

und verfolgen auch den Lauf

der Sonne, erfahren die Him–

melsrichtungen und wie man

sich mit Uhr und Kompaß

orientiert. Dann wird das er–

kundete Gelände im Sandka–

sten nachgebaut ins Heft ge–

zeich,et. Das sind die ersten

Schritte zur Landkarte.

Die Entdeckungsreise geht

nicht immer ins Grüne. Auch

Stadtviertel mit Wohnblocks,

Büros, Handwerks- und Indu–

striebetrieben stehen auf dem

Programm. Ebenso kommunale

Einrichtungen wie Kranken–

haus, Feuerwehr, Polizei und

Gemeindeverwaltung. Aus sol–

chen Begegnungen entstehen

erste Einsichten in das soziale

und wirtschaftliche Gefüge der

Weit, in der die Kinder leben .

Zum eisernen Bestand der

Heimatkunde gehören seit eh

und je auch die historischen

Denkmäler der nächsten Um–

gebung sowie die Sagen und Er–

zählungen, die sich um sie ran–

ken . Wieder zieht es die mun–

tere Schar hinaus. Diesmal zur

romantischen Burgruine, zu

Stadttoren, Wehrtürmen, Brun–

nen, Klöstern und Kirchen . Am

örtlichen Beispiel wird so die

Vergangenheit der Heimat le–

bendig, zugleich aber auch

Vergänglichkeit bewußt: Nicht

Am Heimatbelspiel wird

Vergangenheit lebendig,

Vergänglichkeit bewußt.

immer war ja die Weit so, wie

sie heute vor Augen steht, nicht

immer lebten die Menschen so

wie wir in der Wohlstandsge–

sellschaft. Vor dem Auto war

die Postkutsche, vor dem Trak–

tor der Ackergaul , vor dem

elektrischen Strom spendeten

Kienspan und Kerze das Licht.

Was l'ernen Kinder daraus?

Sie ahnen, sie spüren: Wir le–

ben nicht nur im Raum, son–

dern auch in der Dimension der

Zeit. Die Gegenwart wächst

hervor aus der Vergangenheit.

Was heute ist, gründet im Ge–

stern, unser Leben wurzelt im

Leben früherer Generationen.

Ihnen schulden wir Achtung

und Dank. Gewiß wäre es

übertrieben, hier schon ein

" Geschichtsbewußtsein"

bei

den Sechs- bis Zehnjährigen zu

vermuten . Aber niemand wird

im Ernst bestreiten, daß die

Heimatkunde erste Weichen in

diese Richtung stellt.

ln solchen Stunden rückt die

Vergangenheit näher, wird der

Kind verständlicher, ja vie,

leicht sogar vertraut. Die Be–

gegnung mit den Zeugen der

Vergangenheit läßt das Kind

spüren: Hier ist etwas, was

mich angeht, dem auch ich an–

gehöre. So wächst aus dem

Kennenlernen die Verbunden–

heit, aus der Bindung die Liebe.

Genauer: die Liebe zu unserer

Heimat.

Gefestigt wird diese Liebe

überall dort, wo Kinder das

Brauchtum ihrer Heimat im

Jahreslauf miterleben. Darum

hat es auch seinen festen Platz

im heimatkundliehen Unter–

richt. Marksteine sind dabei

nicht nur die großen Kirchenfe–

ste. Weihnachten, Ostern,

Pfingsten, Fronleichnam - ge–

wiß fällt von ihrem Glanz auch

ein Schimmer in die Schulstu–

ben. Vor

al~em

aber kümmt

sich der heimatkundliehe Un–

terricht um die örtlichen Bräu–

che: Perchtenlaufen, Sonn–

wendfeuer, Kirchweih, Ernte–

dank, Dreikönigssingen, Mar–

tins-Umzug und der Barbaratag

werden besprochen, ihr Sinn

erklärt. Solche Akzente geben

dem Bild der Heimat Farbe und

Leben.

Diese Streif! ichter zeigen :

Heimatkunde bleibt nicht bei

Sachinformationen stehen . Sie

hat darüber hinaus einen wohl

einzigartigen

erzieherischen

Wert, eine die Persönlichkeit

bildende ·Aufgabe; denn Hei–

mat ist nicht in geographischen

Längen- und Breitengraden zu

erfassen . Sie ist nun einmal

kein physikalischer Gegen–

stand, sondern ein .Gefüge von

Lebensregeln und Ordnungen,

letztlich alsoein moralischer Be-

· ~