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er hat sie nicht erlebt, die zwei

Tage im Schuljahr, die anders

sind als alle anderen, weil an

ihnen unscheinbare Formulare im

Mittelpunkt stehen - mit Ziffern von 1

bis 6 bzw. mit Begriffen wie ,gut',

,befriedigend' oder ,mangelhaft'?

Wer kennt sie nicht, die Gefühle und

Gedanken, die Schüler an diesen

zwei Zeugnistagen bestürmen? Se–

hen die einen dem Ereignis freudig

entgegen, weil sie wissen, daß sie mit

dem Ergebnis zufrieden sein können,

sitzen andere in banger Erwartung in

ihren Bänken: Hoffentlich hat es in

Mathematik noch zur besseren Note

gereicht! Und wieder andere eilen

mit ihren Gedanken schon voraus:

Drei Vierer und ein Fünfer- wie sag'

ich's bloß meinen Eitern?

Solange es Zeugnisse gibt, spielen

sie im Leben der Schüler eine beson–

dere Rolle; daran hat sich auch heute

nic_hts geändert. ln erster Linie sind

Zeugnisse die Bilanz der schulischen

Leistungen eines Halbjahres oder ei-

nes Jahres und stellen so eine wichti–

ge Information für den Schüler und

seine Eitern dar. Aber darüber hinaus

haben Schulzeugnisse noch eine wei–

tergehende Bedeutung. Sie können

auch amtliche Dokumente sein, die

dem Inhaber Rechte gewähren oder

versagen; dazu gehört vor allem das

Vorrücken in die nächsthöhere Jahr–

gangsstufe.. Mit einem Zeugnis be–

wirbt man sich um eine Lehrstelle,

schreibt man sich für ein Studium an

der Universität ein oder stellt man

sich der Konkurrenz bei der Bewer–

bung um einen guten Posten. Das

war jedoch nicht immer so, denn die

verschiedenen Funktionen der Schul–

zeugnisse haben sich in den vergan–

genen Jahrhunderten erst nach und

nach entwickelt.

Die ersten Zeugnisse tauchen in

den Jesuitengymnasien des 16. Jahr–

hunderts auf und werden denjenigen

Schülern ausgestellt, die in eine an–

dere Schule des Ordens wechseln

oder sich um ein Stipendium für ein

Studium bewerben wollen. Daraus

entwickelt sich später dann das soge–

nannte Reifezeugnis. ln Preußen wird

1788

verordnet, "daß künftig alle von

öffentlichen Schulen zur Universität

abgehende Jünglinge schon vorher

auf der bisher besuchten Schule ...

öffentlich geprüft werden, und nach–

her ein detailliertes Zeugnis über ihre

bey der Prüfung befundene Reife

oder Unreife erhalten sollen". Aller-

FLEISSIGER SCHULBESUCH

dings benötigen vorerst nur Schüler,

die auf ein Stipendium angewiesen

sind, ein derartiges Zeugnis, studie–

ren dürfen auch "Unreife".

Auf breiter Basis Eingang in das

Schulwesen fanden die Zeugnisse mit

der Einführung der Entlaßscheine, die

es an bayerischen Volksschulen seit

180?

gab. Die Abschlußzeugnisse

dienten zunächst dazu, die Schul–

pflicht bei der Bevölkerung durchzu–

setzen; zugleich aber sollte durch

den verpflichtenden Schulbesuch die

weitverbreitete Kinderarbeit zurück–

gedrängt werden. Welche wichtige

Bedeutung den Zeugnissen schon da–

mals zukeim, . läßt sich einer bayeri–

schen Verordnung aus dem Jahr

1803

entnehmen: "Sie sollen daher weder

ein Anwesen übernehmen, noch eine

Heirat schließen können, wenn sie

nicht den fleißigen Besuch dieser

Feiertagsschulen durch gültige Zeug–

nisse und hinlängliche Kenntnisse ...

beweisen können." Gegen eine Ge–

bühr von 12 Kreuzern konnten damals

Eitern jährlich eine Abschrift aus dem

Zensur-Buch erhalten, in dem der

Lehrer während des Schuljahres Fä–

higkeiten, Fleiß, Betragen und Fort–

gang der Schüler festhielt. Im Laufe

der Zeit entwickelte sich daraus das

Jahreszeugnis, dessen Funktion als

Berechtigungsschein sich dann im 19.

und 20. Jahrhundert immer differen–

zierter herausbildete.

Da heute Eitern wie Schüler glei–

chermaßen wissen, welche wichtige

Rolle schulische Abschlüsse für den

Berufsweg spielen, sind Eitern ent-

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SCHULE

aktuell

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