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Das schleichende Gift der Bilder ist nicht harmlos.Wer

ständig Spiele spielt, bei denen man alle Einzelheiten

des Tötens nicht nur ansehen, sondern auch selbst mit-

spielen kann, wird nicht allein deswegen zumTäter,

aber er hat alle Muster zurVerfügung, wenn eine Si-

tuation wie in Erfurt entsteht. Daraus müsste man

die Forderung ableiten, Gewaltvideos und Killer-

spiele zu verbieten, und nicht nur den Besitz,

sondern bereits die Herstellung unter Strafe

zu stellen. Denn sie sind gefährlich, gerade

weil sie individuell ganz unterschiedlich

wirken.

Wer Gewaltvideos und brutale Spiele

„ab 18 Jahren“ frei gibt, riskiert, dass sie all-

gemein zugänglich bleiben. Die Darstellun-

gen aber bewegen sich außerhalb aller zivilisa-

torischen Grenzen und bietenTötungsanleitun-

gen, die jeder nutzen kann. Hier kommen auch

pädagogische Fragen zumTragen. Kinder integrieren

sich nicht in eine Gesellschaft, indem man sie der

Schule oder, noch schlimmer, sich selbst überlässt. Ihre

Entwicklung ist nicht auf frühe Selbständigkeit ausge-

richtet, sondern ist abhängig vonVerhaltensmustern,

die sie erleben. Dabei sind die Erwachsenen immer

persönlich gefordert. Für die Erziehung gibt es keine

Stellvertretung.Aber die ständige Anstrengung, die das

Erziehen mit sich bringt, ist offenbar nicht mehr

selbstverständlich.

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E

worden.Aber Massaker in Schulen, die mit der Absicht

beschlossen wurden, Selbstmord zu begehen, gab es

zuvor nie. Sie zeigen, dass bestimmte Auslöser wie

Schulverweise oder Kränkungen Gewaltvideos inTa-

ten verwandeln können, die ohne jede Hemmung

vollzogen werden.Wer dieTüren von Klassenzimmern

aufreißt und die anwesenden Lehrkräfte hinrichtet,

und dies ein Dutzend mal, ist nicht einfach „ausgeras-

tet“, sondern vollzieht eine wohl vorbereiteteTat, die

sich von keinerlei Gewissensregungen ablenken lässt.

In der Regel haben dieTäter vorher mit dem eigenen

Leben abgeschlossen. Das „Warum?“ ist nicht rätsel-

haft. Der letzte Akt in ihrem Leben soll möglichst viele

Opfer kosten.Wie in denVideos und Spielen, die für

sie alsVorbilder dienen, wird dieTat umso spektakulä-

rer, je mehr Opfer es gibt.

Kinder und Jugendliche können sich heute pro-

blemlos Gewaltdarstellungen aller Art beschaffen. Es

gehört zur Freiheitserfahrung heutiger Jugendlicher,

dass sie sich solche Darstellungen ansehen können.

Zwischen dem Spiel und derWirklichkeit bestehen

keine scharfen Grenzen, schon weil die Spiele selbst

über keine moralischen Schwellen mehr verfügen.

Die bis heute bekanntenTäter haben noch eine an-

dere Gemeinsamkeit: Sie sind nicht auffällig, weil nie-

mand wirklich auf sie achtet. In Erfurt hat derTäter

lange Zeit erfolgreich verschleiern können, dass er

nicht mehr das Gymnasium besucht. Die Gedanken

zurTat reifen im Kopf, ohne dass jemand merkt, was

dort vorgeht.Vor allem diese einsamen Entschlüsse

sind es, die uns ratlos machen. Jede neueTat erhöht die

Wahrscheinlichkeit, dass es Nachahmungstäter gibt.

Eine Prävention scheint angesichts dessen, dass die

Auslöser für einen Amoklauf nicht offen daliegen,

kaum möglich.Aber genau das darf nicht hingenom-

men werden.

Medien

Wenn Sie, liebe Leserinnen und Leser, sich zu diesen

Ausführungen äußern möchten, schreiben Sie uns:

Bayerisches Kultusministerium, Redaktion EZ

80327 München

Fax (0 89) 21 86-12 80

elternzeitschrift@stmuk.bayern.de

Erziehung gefordert

der artikel erschien in erweiterter form in der

süddt. zeitung vom 2.5.02

abbildungen: ausschnitte aus gängigen videospielen