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– 2 02

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z

E

Dr. Jürgen Oelkers,

Professor für

Allgemeine Päda-

gogik an der Uni-

versität Zürich, ist

unter anderem

Mitglied des Bil-

dungsrates des

Kantons Zürich und

hat selbst 4 Söhne.

arum erschießt ein junger Mann seine Leh-

rer, kaltblütig und im Stile einer Hinrich-

tung?Wenn von einer „Wahnsinnstat“ die

Rede ist, bemüht man sich allzu schnell, diese damit zu

erklären, dass hier eine krankhafte Störung der Psyche

vorliege, die man nicht erklären könne. Damit will

man verhindern, dass solchenTaten auch etwas Allge-

meines anhaftet, das sich auch bei anderenVerbrechen

findet.Aber die „Einzeltäter“ häufen sich, so dass die

Ursachen nicht einfach mit der zufälligen psychischen

Verfassung einer bestimmten Person begründet wer-

den können. Natürlich gleicht keinTäter dem ande-

ren, dieTat selbst aber hat immer erstaunliche Paralle-

len mit anderenTaten.

Seit Anfang der neunziger Jahre haben mehrere

männliche Jugendliche in ihren Schulen Massaker ver-

übt. Sie haben Rache an ihren pädagogischen Institu-

tionen genommen. Betroffen sind zumeist nicht ein-

zelne Lehrkräfte, sondern die öffentliche Einrichtung

selbst, die Schule. DieTäter reagieren anscheinend auf

individuelle Kränkungen, für die eine gesellschaftliche

Institution, z.B. die Schule, verantwortlich gemacht

wird. Es ist kein Zufall, dass derTäter von Erfurt mit

seinemAmoklauf aufhörte, als er mit der Person eines

Lehrers konfrontiert wurde, der ihm auf den Kopf zu

sagte, was er getan hat.

Was an solchen Fällen abzulesen ist, lässt sich nicht

als wachsende Gewalt-, sondern als wachsendeTö-

tungsbereitschaft bezeichnen. Hier liegt auch die Ge-

meinsamkeit mit den Massakern im Parlament des

Schweizer Kantons Zug und in der Gemeindever-

sammlung im französischen

Nanterre.An

beiden Or-

ten traten erwachsene Männer auf, die gewählteVolks-

vertreter wahllos töten wollten, um eine gesellschaftli-

che Institution zu treffen. In keinem dieser Fälle ging

es um persönliche Bereicherung, vielmehr ging es

darum, durch eineTat äußerst spektakulär die Auf-

merksamkeit auf die eigene Person zu lenken, bei der

der eigeneTod von Anfang an mit einkalkuliert

wurde.

Die Muster dieserTaten entstammen den Medien

und nicht einer „kranken Phantasie“. Der Einwand,

dass bei gleichem Konsum die Auswirkungen ver-

schieden sind und selbst hoher Konsum nicht automa-

tisch dazu führt, dass jemand die Gewalt- undTö-

tungsmuster anwendet, ist inWirklichkeit eine gewisse

Art der Bestätigung. Die Muster sind Bildfolgen, die

gespeichert sind und jederzeit abgerufen werden kön-

nen.Alle Gewaltvideos und Killerspiele haben eine

bestimmteVoraussetzung: Sie stellen das Töten ohne

jede persönliche Beteiligung dar. Die Muster des Tö-

tens, die sich dort finden, sind nicht schrecklich, son-

dern lustvoll, und jeder kann sich in die Rolle des Tä-

ters versetzen, ohne innere Schwellen aufzubauen.

Hinter einem Selbstmord steht eigentlich der Ent-

schluss, dem eigenen Leben ein Ende zu setzen. Der

Freitod von Schülerinnen und Schülern ist seit Mitte

des 19. Jahrhunderts immer wieder dokumentiert

Das schleichende

Gift der Bilder

W

Lustvolle Muster

DenAmoklauf von Erfurt nur damit zu erklären, dass der Schüler exzessiv Videos

und Computerspiele konsumierte,wäre wohl zu einfach.Dennoch sollten

Eltern sich mit diesemThema beschäftigen.Denn dass der ständige Konsum von

Gewaltvideos nicht ohneWirkung auf junge Menschen bleibt, legt Dr. Jürgen

Oelkers, Professor für Erziehungswissenschaften in Zürich, sehr nachdrücklich dar.

WachsendeTötungsbereitschaft