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Auch lernschwache

Schüler schaffen den Sprung

zum Lehrling

Fortsetzung von Seite 3

eine Spezialschule." Die Dia–

gnose "Lernbehinderung" ist

nicht ganz ungewöhnlich. Sie

muß heute immerhin bei zwei

von hundert Kindern festgestellt

werden. Bundesweit sind das

pro Jahrgang gut 13000, davon

mehr als 2000 in Bayern.

ln den Regelschulen haben

sie

fast

unüberbrückbare

Schwierigkeiten, vor allem in

Fächern wie Deutsch und Ma–

thematik, wo logisches und ab–

straktes Denken gefordert ist.

Daraus ergeben sich zwangs–

läufig fortwährende schulische

Mißerfolge. Das sollte Stefan

von Anfang an erspart bleiben.

Daher wurde seinen Eitern

empfohlen, den Buben in die

Schule für Lernbehinderte über–

wechseln zu lassen. Begeistert

waren die Eitern davon nicht.

Das Wort allein löste in ihnen

Angst und Abwehr aus. Trotz–

dem vertrauten sie dem Rat–

schlag der Fachleute und wil–

ligten ein.

Mit der Zeit stellten sie fest,

daß ihr Sohn anfing, Gefallen

an der neuen Schule zu finden.

Dort gewann er Mut und Selbst–

vertrauen zurück und machte

zwar langsame, aber doch be–

harrliche Lernfortschritte.

Rund 200 solcher Spezial–

schulen für Lernbehinderte gibt

es in Bayern, besucht von der–

zeit über 20000 Schülern. Sie

sitzen in kleinen Klassen mit

meist nicht mehr als 10 Kin–

dern. Daher kann man jedem

einzelnen dort besonders hel–

fen, wo seine persönlichen

Lernschwächen liegen.

Gerhild Knopf, Leiterin einer

Schule für Lernbehinderte in

München: "Was unseren Kin–

dern schwerfällt, ist die Ab–

straktion. Wenn sie etwas mit

dem Kopf begreifen sollen,

müssen sie das zuerst mit den

Händen tun. Sie müssen die

Dinge sehen und tasten, hören

und schmecken. Lernen mit al–

len Sinnen hilft ihnen mehr als

selbst der beste theoretische

Unterricht. Darum müssen wir

alles veranschaulichen, was

wir den Kindern beibringen

wollen.

Den Kleinen lernen wir mit

einem Buchstabenhaus das Le–

sen. Vielfältiges Rechenmate–

rial erleichtert ihnen das Zäh–

len. Spieltelefone helfen beim

Sprechenlernen. Obwohl Hilfe

und Unterstützung bei uns

oberstes Gebot sind, wollen wir

an unseren Schulen Leistung

nicht ausklammern. Durch

ln der Fachklasse für den Verkauf

Die Bedienungstheke und der Verkaufsraum

stehen gleich neben dem Klassenzimmer.

Claudia und Katrin üben den Umgang mit der

·

Kasse, aber auch den freundlichen Service.

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Wiederholen und Üben trainie–

ren wir die Auffassungsgabe,

die Sprache, das Denken jeden

Tag aufs neue."

ln der Rückschau erkennen

Stefans Eitern heute: Für ihren

Sohn war die Schule für Lern–

behinderte genau das richtige:

Sie öffnete ihm den Weg für die

anschließende berufliche Aus–

bildung. Nach neun Schuljah-

Schritt für Schritt

ans Ziel

ren wechselte Stefan in das

schwäbische

Dürrlauingen.

Dort absolvierte er ein soge–

nanntes Berufsvorbereitungs–

jahr. Daran schloß sich eine

dreijährige Lehrzeit im Berufs–

bildungswerk an.

Mit 19 Jahren hatte Stefan die

Gesellenprüfung als Textilreini–

ger geschafft. Als sich bald dar–

auf die Stelle in München an–

bot, griff er zu. Was nur wenige

wissen: Stefans Werdegang ist

keineswegs die große Ausnah–

me. Rund die Hälfte der lernbe–

hinderten Schüler in Bayern ge–

hen heute ähnliche Wege.

Das Berufsvorbereitungsjahr,

das Stefan durchlief, steht allen

jungen Leuten nach dem Be–

such der Schule für Lernbehin–

derte offen. Im einjährigen

Vollzeitunterricht arbeiten sie

hier die noch verbliebenen

Lern- und Leistungsschwächen

auf. Gleichzeitig machen sie

sich- noch ohne Ausbildungs–

vertrag - mit einem Beruf ver–

traut, der für sie vielleicht in

Betracht kommen könnte.

Für die lernbehinderten

Schüler wird das Berufsvorbe–

reitungsjahr in zwei verschie–

denen Formen angeboten: Die

Form B für die leistungsstärke–

ren Schüler, die Form C für die

schwächeren.

Direktor Beslmüller, Leiter

der Adolf-Kolping-Berufsschule

in München zum Thema Be–

rufsvorbereitungsjahr:

"Weil

lernschwache Buben und Mäd–

chen nach ihrem Schulab–

schluß noch nicht so weit sind,

sofort in das Erwerbsleben ein–

zusteigen, brauchen sie eine

besondere Förderung. ln klei–

nen Klassen mit höchstens 12

Schülern bereiten wir die jun–

gen Leute in Theorie und Praxis

auf den Einstieg in das berufli–

che Leben vor.

Dabei

baue~

wir besonders

auf die manuelle Geschicklich–

keit und die praktische Bega–

bung unserer Schüler. Berufs–

schul- und Sonderschullehrer,

Sozialpädagogen und Fachleh–

rer kümmern sich intensiv um

jeden einzelnen. ln der Sonder–

form B wird vor allem Wert ge–

legt auf die Fächer Deutsch,

Fachtheorie, Fachrechnen und

Fachzeichnen. Hinzu kommen

18 Stunden fachpraktischer Un–

terricht."

Das Berufsvorbereitungsjahr

kann nicht nur in München be–

sucht werden, sondern an über

30 bayerischen Sonderberufs–

schulen. Die Ausbildungsrich–

tungen, die dort angebot

werden, reichen von Holz- .

Metallverarbeitung bis hin

L-a

Bau- und Textiltechnik. Es gibt

auch Klassen für Verkauf, Kraft–

fahrzeugtechnik und Raumge–

staltung, für Ernährung, Haus–

wirtschaft und Körperpflege.

Das Berufsvorbereitungsjahr

der Sonderform B hat also im

Hinblick auf die sich anschlie–

ßende Lehre unbestritten große

Vorteile, gibt es doch allererste

Grundfertigkeiten mit auf den

Weg. Wer dieses Jahr erfolg–

reich abschließt, zieht daraus

auch noch einen zusätzlichen

Gewinn: Er bekommt den

Hauptschulabschluß zugespro–

chen. Dieses Ziel erreicht rund

die Hälfte aller Schüler, die das

Berufsvorbereitungsjahr in der

Form B besuchen. Sie können

anschließend eine Lehre in

einem Ausbildungsbetrieb b

ginnen. Wer es sich an

überlegt, hat immerhin seine

Berufsschulpflicht erfüllt.

Nun zu den anderen jungen

Leuten, für die wegen ihrer Lei–

stungsschwäche die Form C des

Berufsvorbereitungsjahres

in

Frage kommt. Sie sollen einmal

als ausgebildete und geprüfte

Helfer in Industrie, Handel und

Handwerk ihr Auskommen fin–

den. Wenn sie auch für eine

Baupläne

für den Beruf

berufliche Lehre nicht geeignet

sind, so sind sie dennoch in der

Lage, mit einfachen Arbeiten

ihr Leben in eigener Verantwor–

tung selbständig zu bewältigen.

Gegenwärtig sind es in Bay–

ern rund 5000 junge Men–

schen, die sich nach dem Be–

such der Sonderschule für Lern-