Erziehung ist immer eine hohe Kunst. Jugendliche in der Pubertät fordern Eltern in
besondererWeise heraus. Ein Interview mit Diplompsychologin Dr.Anna Schoch.
Aber selbst wenn Eltern bisher auf klare Grenzen
geachtet haben, wird es in der Pubertät oft schwierig.
Zunächst einmal wollen sich die Jugendlichen in der
Pubertät von den Eltern abgrenzen. Ganz egal, wie
sich die Eltern verhalten, für ihre Kinder sind sie
grundsätzlich unmöglich und peinlich! Auf der Suche
nach der eigenen Identität werden dafür nun die
Gleichaltrigen wichtig. Ihr Einfluss mag für eine ge-
wisse Zeitspanne sehr groß sein, aber irgendwann
kommen nach meiner Erfahrung doch die Prägungen
aus dem Elternhaus wieder zum Durchbruch.
Inwieweit sollen Eltern den pubertierenden Jugend-
lichen denn Grenzen setzen?
Es ist wichtig, sich vorher gut zu überlegen, welche
Grenzen man setzen will. Besser ist es, weniger Gren-
zen festzulegen, aber an diesen ohne Abstriche festzu-
halten. Eltern sollten dann auch keine Scheu vor Kon-
flikten haben und unangenehmen Auftritten und Sze-
nen nicht aus demWeg gehen. Nehmen wir einmal
beispielsweise den Punkt „Ausgehen“: Es gibt keinen
Grund, dass Jugendliche, die um 8 Uhr in der Schule
sein müssen, in der Nacht vorher in die Disco gehen.
Wer tagsüber Leistung bringen muss, kann sich nicht
die Nächte um die Ohren schlagen.
Was tun, wenn es Probleme mit der Schule gibt?
Erstmal: Eltern sollten das Problem ihres Kindes nicht
zu ihrem eigenen machen! Ich sage oft: „So lange Sie
sich den Kopf zerbrechen, braucht sich Ihr Sohn sei-
nen nicht zu zerbrechen.“ Man muss das Problem bei
dem lassen, der es hat. Konkret heißt das, Eltern sollten
ihre pubertierenden Kinder auf Schulprobleme offen
ansprechen, sie sollten zeigen, dass sie die Probleme
bemerken, und frühzeitig deutlich auf die Konsequen-
zen hinweisen. Eltern können Hilfe anbieten, aber der
Wille, etwas zu verändern, muss beim Jugendlichen
liegen.Andernfalls müssen die Eltern glaubwürdig
bleiben und ihr Kind die Folgen selber tragen lassen.
Was empfehlen Sie bei typischen „Kriegsschauplät-
zen“ wie z.B. Kleidung und Frisur?
Ausgeglichene Kinder verwandeln sich über Nacht
in Teenager, die ihren Eltern Rätsel aufgeben. Muss
Pubertät so sein?
Die Antwort ist schlicht und ergreifend ja. Pubertät ist
die Zeit, in der der junge Mensch zu seiner Identität
finden soll. Das ist ein von der Natur vorgegebenes
Geschehen, und dieser Umbruch imVerhalten der Ju-
gendlichen ist geradezu entwicklungsnotwendig. Erst
in der Opposition zu den Eltern, bei diesem Sich-Rei-
ben an ihremWiderstand bilden sich Charakter und
Persönlichkeit.
Wenn sich die Kinder an ihren Eltern reiben sollen:
Setzt das klare Positionen bei den Eltern voraus?
Unbedingt, und das gilt natürlich schon von klein auf
– lange vor der Pubertät.
Heute sind Eltern ja vielfach bestrebt, ihren Kindern
alle Optionen offen zu halten und sie vor jeder Frus-
tration zu bewahren. Das ist in meinen Augen ein
großes Problem. Denn später zeigt sich oft, dass die
Kinder nicht gelernt haben,Widerstände selber zu
überwinden und daran zu wachsen. Sie haben auch
nicht gelernt, dass weder alles möglich noch alles
selbstverständlich ist.Wenn Kinder dagegen erleben,
dass das, was sie tun, Konsequenzen hat und sie dafür
einstehen müssen, entwickeln sieVerantwortungsbe-
wusstsein.
Auf demWeg zu
sich selbst
Die Münchner
Psychologin
und Psycho-
therapeutin
Dr. Anna Schoch
arbeitet im Be-
reich der
Verhaltens-
therapie und
ist Autorin
mehrerer Bücher.
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Auch während
der schwierigen
Zeit der Pubertät
sollten Eltern
mit ihrem Kind
im Gespräch
bleiben.
fotos: caro/waechter; getty images/andy sacks/
PRIVAT
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