Themenheft Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 2/13) - page 4

Theodor Heuss hatte als Mitglied des Parlamentarischen
Rates bekanntermaßen dringend davon abgeraten, mit
Volksinitiativen und -entscheiden „die künftige Demokra-
tie zu belasten“. Zwar hielt er diese in überschaubaren Ge-
meinwesen mit staatsbürgerlicher Tradition durchaus für
praktikabel, „in der großräumigen Demokratie“ stellten sie
seiner Auffassung nach jedoch „eine Prämie für jeden Dem-
agogen“ dar.
1
In der Debatte um die direkte Demokratie in
Deutschland wurde diese Aussage Heuss’ seither immer
wieder zitiert, um die von Plebisziten ausgehenden Gefähr-
dungen zu verdeutlichen. Ein Blick auf die jüngere Diskus-
sion zeigt allerdings, dass die tradierten, historisch-politisch
begründeten Vorbehalte an Prägekraft verlieren. Stattdessen
belegenUmfragedaten große Zustimmung zur direktenDe-
mokratie.
2
So sprachen sich beispielsweise im Februar 2013
63 Prozent der von Infratest dimap Befragten für eine „Stär-
kung der direkten Demokratie“ aus und befürworteten,
„dass möglichst viele Entscheidungen von den Bürgern di-
rekt und für alle verbindlich in Volksabstimmungen getrof-
fen werden“. Größere Bedenken, die repräsentative Demo-
kratie könne hierdurch beschädigt werden, hegt nur mehr
eine Minderheit.
3
Verfechter der direkten Demokratie for-
mulieren stattdessen die Erwartung, dass sich die beklagte
Politikverdrossenheit durch mehr direkte Bürgerbeteili-
gung überwinden und die Demokratie insgesamt revitali-
sieren ließe.
ImBlick auf die Praxis und die Perspektiven der di-
rekten Demokratie in Deutschland (vgl. die weiteren Bei-
träge in diesem Heft) erscheint es lohnenswert, sich noch
einmal die demokratietheoretischen Fundamente dieser
Thematik zu vergegenwärtigen. Der Begriff der Demokra-
tie wurde bereits im antiken Athen geprägt und bezeichnet
demWortsinne nach die Herrschaft des Volkes (griech.:
de-
mos
= Volk;
kratia
= Herrschaft).
4
„Die Verfassung, die wir
haben [...], heißt Demokratie, weil der Staat nicht auf weni-
ge Bürger, sondern auf die Mehrheit ausgerichtet ist“, so be-
schreibt Perikles die imAthen seiner Zeit herrschenden Ver-
hältnisse.
5
1 So Theodor Heuss in der dritten Sitzung des Plenums des Parlamentarischen Rats vom 9. 9. 1948; zit. nach
2011/01–02/Themenausgabe/32947383.html (Stand 20. 12. 2013).
2 Vgl. Manuela Glaab: Partizipation versus Enthaltung, in: Deutsche Kontraste 1990–2010. Politik–Wirtschaft–Gesellschaft–Kultur, hg. von
Manuela Glaab, Werner Weidenfeld und Michael Weigl, Frankfurt am Main 2010, S. 101–136.
3 Die Umfrage ist online verfügbar:
(Stand 20. 12. 2013).
4 Als älteste Quelle gilt eine Schrift Herodots aus dem Jahr 430 v. Chr.; vgl. dazu sowie zur Entstehung der Demokratie Hans Vorländer:
Demokratie. Geschichte – Formen – Theorien,
2
München 2010, S. 13–25.
Idee und Perspektiven der direkten Demokratie
Einsichten und Perspektiven Themenheft 2 | 13
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Idee und Perspektiven
der direkten Demokratie
Von Manuela Glaab
Porträtkopf des griechischen
Philosophen und Staats-
theoretikers Aristoteles (384-
322 v. Chr.); römische Kopie
nach griechischem Original
vom Ende des 4. Jh. v. Chr.;
Antikensammlung,Wien,
Kunsthistorisches Museum
Foto: AKG – Justus Goepel
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