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Hitlers

Mein Kampf

– Perspektiven für die historisch-politische Bildungsarbeit

63

Einsichten und Perspektiven Themenheft 1 | 16

Thesen zum Umgang mit

Mein Kampf

in der historisch-

politischen Bildung

1.

Mein Kampf

ist eine zentrale Quelle für die Geschichte

des Nationalsozialismus. Daher ist eine Berücksichti-

gung im Geschichtsunterricht und in der außerschu-

lischen Bildungsarbeit naheliegend, ja unverzichtbar.

Sie eröffnet vielfältige Zugänge zur Zeit des National-

sozialismus, sei es durch die Biografie Hitlers und den

damit verknüpften „Führer“-Mythos, sei es durch die

Stilisierung des Buches zum „Herrschaftssymbol“ und

zum „Herrschaftsinstrument“ oder durch die darin ent-

haltene NS-Ideologie mit ihren fatalen Konsequenzen.

2.

Mein Kampf

ist eine so komplexe Quelle, dass eine

umfassende Thematisierung der verschiedenen Kon-

texte – von der Entstehung bis zur Rezeption, von

der Quellenkunde bis zur Aufarbeitung – in der

historisch-politischen Bildungsarbeit weder sinnvoll

noch möglich ist. Allerdings kann sie gerade des-

wegen in Lernprozesse verschiedenster Art Eingang

finden: von der beiläufigen Erwähnung bis hin zur

eingehenden Analyse. Dazu bedarf es geeigneter Lern­

arrangements für die jeweilige Lerngruppe.

3.

Mein Kampf

wird, wie die Durchsicht der Lehrpläne

und der Schulbücher zeigt, vor allem als zentrale

Schrift der NS-Ideologie betrachtet. Neben diesem

sicher wichtigen Inhaltskontext können und sollten

auch weitere Zusammenhänge zumindest ansatz-

weise deutlich werden, etwa der quellenkundliche,

der Publikations- und Rezeptionskontext.

4.

Mein Kampf

sollte als – natürlich kritisch zu befra-

gende – Quelle ernst genommen und nicht vorab

pejorativ beurteilt werden. Mangelnde Originali-

tät, krause Argumentation und schlechter Stil sagen

nichts über den Quellenwert aus.

5.

Mein Kampf

ist nach wie vor präsent. Die Diskussionen

angesichts des Auslaufens des Urheberschutzes und das

große Interesse an der kritischen Edition des Instituts

für Zeitgeschichte offenbaren die Nachwirkung von

Hitlers Hetzschrift. Daher kann und sollte

Mein Kampf

nicht nur historisch betrachtet werden, sondern auch als

Phänomen der bundesrepublikanischen Geschichtskul-

tur. Der Umgang mit diesem Buch nach 1945 offenbart

vieles über den Staat, in dem die Jugendlichen leben.

6.

Mein Kampf

kann daher sehr gut auch über den

Aufarbeitungskontext, also über Phänomene der

Geschichtskultur, erschlossen werden. Dieser bietet –

nicht zuletzt wegen seiner ästhetischen Dimension –

beträchtliche Lernchancen, verbindet sich doch hier

der vergangenheitsorientierte Quellenbezug des Lern-

gegenstands mit dem gegenwartsorientierten Lebens-

weltbezug der Schülerinnen und Schüler.

7.

Mein Kampf

sollte in seinem aktuellen propagan-

distischen Gehalt nicht überschätzt werden. In der

rechtsradikalen Szene genießt Hitlers Buch aus sym-

bolischen Gründen zwar große Wertschätzung, spielt

aber für die ideologisch-politische Formierung wohl

keine entscheidende Rolle. Dies hängt damit zusam-

men, dass die weitschweifigen Ausführungen Hitlers

zum einen schwer konsumierbar und zum anderen

sehr zeitverhaftet, mithin kaum mehr auf die aktuelle

Situation anwendbar sind. Hier spielen wohl andere

ideologische Ressourcen eine wichtigere Rolle, so dass

die Auseinandersetzung mit

Mein Kampf

im Rahmen

der Prävention gegen Rechtsextremismus zwar not-

wendig, aber nicht entscheidend zu sein scheint.

8.

Mein Kampf

enthält gleichwohl Elemente, die nicht

verharmlost werden dürfen: Das biologistisch-rassis-

tische Weltbild, das strikte Freund-Feind-Denken,

der unbedingte Vernichtungswille und die men-

schenverachtende Sprache, die im Buch auf fast jeder

Seite begegnen, sind zeitunabhängige Deutungsmus-

ter, die wieder aktualisiert werden könnten.

9.

Mein Kampf

sollte im Hinblick auf die historisch-

politische Bildung der Jugendlichen am Ende der

Beschäftigung als das bezeichnet werden, was es ist:

eine menschenverachtende Hetzschrift. Allerdings:

Um ihnen eine eigenständige, unvoreingenommene

Urteilsbildung zu ermöglichen, ist es einerseits not-

wendig, sich mit Wertungen zurückzuhalten. Ande-

rerseits kann die Weltanschauung Hitlers nicht zum

Objekt subjektiver Geschmacksurteile gemacht wer-

den. Das Dilemma, einerseits die Freiheit histori-

scher Urteilsbildung zu wahren und andererseits der

Notwendigkeit demokratischer Bewusstseinsbildung

gerecht zu werden, lässt sich nicht auflösen, ja es stellt

sich bei der Beschäftigung mit Hitlers

Mein Kampf

verschärft.

10.

Mein Kampf

sollte nicht mystifiziert werden. Ein offe-

ner Umgang mit demText und mit den Erwartungen

und Einstellungen der Jugendlichen gegenüber dem

Text dient dem Erkenntnisgewinn und ermöglicht

erst eine kritische Auseinandersetzung. Ziel bleibt die

Entmystifizierung von

Mein Kampf

durch historisch-

politische Aufklärung.