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Die Gesundheitsberichte des Landgerichtsarztes Dr. Schleis von Löwenfeld (1772-1852)

Einsichten und Perspektiven 3 | 17

Ein von ihm angestrebter Verdienstorden blieb ihm zwar

verwehrt,

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doch erhielt Schleis von Löwenfeld am Ende

seines Berufslebens noch Anerkennungen. Zur Feier sei-

nes fünfzigjährigen Doktorjubiläums wurde er Ehrenmit-

glied des Ärztlichen Vereins in München, am 23. Oktober

1845 erfolgte die Ernennung zum „Königlichen Rat“.

Am19. Oktober 1848 wurde Christoph Raphael Schleis

von Löwenfeld in den Ruhestand versetzt, er starb am

11. März 1852 in Amberg. Seine beiden Söhne wurden

ebenfalls Ärzte.

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Der ältere, noch in Sulzbach geborene

Max Joseph (1809-1897) besuchte in Amberg die Schule

und absolvierte anschließend das Medizinstudium in

München, wo er auch als chirurgischer Assistenzarzt und

später als praktischer Arzt und Armenarzt arbeitete. 1840

wurde er zum königlichen Hofstabschirurgen ernannt und

1851 sogar zum Leibchirurgen des bayerischen Königs

Maximilian II. bestellt. Diese ehrenvolle Aufgabe nahm er

auch für König Ludwig II. wahr, was dazu führte, dass sein

Bekanntheitsgrad den des Vaters bis heute weit übertrifft.

Der jüngere Sohn Karl (1814-1870) wurde praktischer

Arzt in Amberg und nach dem Tod des Vaters zunächst

„Physikatsverweser“ und später Bezirksgerichtsarzt. Er

führte das Amberger Wochenblatt, das seine Bedeutung

über Jahre immer mehr verloren hatte, noch bis 1856

fort, spätestens ab Herausgabe der ersten lokalen Tageszei-

tung 1851 spielte die Zeitung aber keine Rolle mehr und

wurde schließlich mit dem Amberger Tagblatt zusammen-

geführt.

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Ein Pionier der Öffentlichen Gesundheit

Mit seinen Veröffentlichungen hat Schleis von Löwen-

feld sehr früh nach dem Vorbild von Johann Peter Frank,

dem führenden medizinischen Repräsentanten des auf-

geklärten Absolutismus,

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eine Haltung gezeigt, die über

eine individuell ausgerichtete, kurative Medizin hinaus-

ging und in historischer Perspektive den Zusammenhang

zwischen Lebensbedingungen und Krankheitsgeschehen

herstellte. Als Pionier der Öffentlichen Gesundheit und

des Öffentlichen Gesundheitsdienstes wollte er durch

eine kritische Analyse der Verhältnisse für deren Verbes-

serung sorgen, insbesondere der medizinischen Versor-

gung, die Gesundheit der Bevölkerung durch Bildung

fördern und Krankheitsrisiken vermindern. Dies spiegelt

39 Locher (wie Anm. 3), S.17.

40 Zur Familiengeschichte siehe insbesondere Locher (wie Anm.2).

41 Haffner (wie Anm. 3), S.113.

42 Haag (wie Anm. 6), S.152.

den Erziehungsoptimismus und die Fortschrittsgläubig-

keit des Zeitalters der Aufklärung wider.

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Seine Berichte

sind als Appelle an die Verantwortung des Staates und der

Kommunen zu verstehen, gesunde Lebensverhältnisse zu

schaffen und ihre Bürger vor Gefahren zu bewahren.

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Die medizinischen Ortsbeschreibungen zeigen aber auch,

welche Widerstände und Beharrungskräfte dabei zu über-

winden waren, wobei nicht nur die Obrigkeit seinen Vor-

schlägen und Empfehlungen oft skeptisch bis ablehnend

gegenüber stand. Auch die ländliche Bevölkerung verließ

sich im Krankheitsfall in erster Linie auf Hausmittel oder

„irreguläre“ Therapeuten und misstraute akademisch

gebildeten Ärzten. Schleis von Löwenfeld beklagte immer

wieder fehlende Anerkennung und nicht zuletzt die als

nicht ausreichend empfundene Besoldung als Medizinal-

beamter, wie sich einemBeitrag imAmbergerWochenblatt

1830 entnehmen lässt: Trotz einer Vielzahl von Aufgaben

beziehe er ein spärliches Jahresgehalt von 600 Gulden, was

der Hälfte der Jahresbesoldung anderer Staatsbeamten wie

Juristen entsprach, er werde „vom Staate so renumerirt,

daß er den größten Theil seiner Bedürfnisse, besonders

wenn er Familie hat, durch Privatpraxis erwerben muß“.

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Dabei stehe er jedoch in Konkurrenz zu Landärzten und

praktischen Ärzten, was zu geringen Einnahmen führe.

Die medizinischen Topographien liefern als zeitge-

schichtliche Dokumente nicht nur interessante Einblicke

in die Lebensumstände um 1800, sondern weisen auch

auf die Anfänge der Umwelthygiene und Sozialmedizin

hin. „Armut und Gesundheit“ war schon vor mehr als

200 Jahren ein Thema, gerade auch im ländlichen Bereich.

Vieles liest sich erstaunlich modern, wie die Ausführun-

gen zur Säuglingssterblichkeit oder die Beschreibung der

Lebensmittelskandale der damaligen Zeit. Die akribische

Zusammenstellung von Statistiken einschließlich der

Auswertung der Berufskrankheiten beeindrucken auch

heutige Leserinnen und Leser noch. Bei den Krankheits-

beschreibungen ist natürlich zu berücksichtigen, dass sie

dem Wissensstand in der vorbakteriologischen Zeit ent-

sprechen, also lange vor den Entdeckungen von Erregern

durch Robert Koch und andere Forscher. Umso bemer-

kenswerter ist zudem Schleis von Löwenfelds großes

Engagement für die Pockenimpfung und für das Ober-

pfälzer Pressewesen.

43 Martin Exner: Johann Peter Frank - Visionär und Initiator der modernen

Hygiene und Öffentlichen Gesundheit. Umweltmed - Hygiene- Arbeits-

med 18 (3)/2013, S.165-174.

44 Locher (wie Anm. 3), S. 23.

45 Amberger Wochenblatt 1830, Nr. 34, S. 524 ff.