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Israel: Start-ups, Siedler und „smarte Pazifisten“

Einsichten und Perspektiven 3 | 17

Israels Metropole Tel Aviv gilt als Vorposten des Westens im Nahen Osten –

die „Start-up Nation“ zeigt hier ihr innovatives Gesicht, die Club-Szene gilt als

legendär, das Sprachen-Wirrwarr auf den Straßen zeugt von Immigration und

touristischem Erfolg. In der Stadt am Mittelmeer werden die Spannungen im

Land und an seinen Grenzen oftmals verdrängt. Dabei ist Israel auch Sderot,

direkt am Hamas-regierten Gaza-Streifen. Es ist der Schweinefleisch produ-

zierende Kibbuz im Norden, es ist Haifa, wo die Glaubensgemeinschaft der

Baha’i ihr religiöses Zentrum hat, es ist die jüdische Siedlung Ariel im West-

jordanland, deren Bewohner israelische Staatsbürger sind. Und natürlich ist es

Jerusalem, die Heilige Stadt, in der seit nunmehr zwei Jahren die sogenannte

„Messer-Intifada“ ihre Opfer findet.

In dieser Reihe der Länderporträts der Staaten im Nahen

Osten sind bereits einige Texte erschienen: über Ägypten,

über Katar, über Tunesien, die Türkei, Iran, Syrien und

Palästina. Ein Text über Israel nimmt darin zwangsläufig

eine Sonderstellung ein: Im deutschen Kontext über den

jüdischen Staat zu schreiben, ist – ob man dies nun gut-

heißt oder nicht –, etwas anderes als in jedem anderen

Land der Welt. Die gemeinsame Geschichte – so eindeu-

tig wie selten eine klare Täter-Opfer-Geschichte –, der

Holocaust oder die

Shoah

, wie der Völkermord in Israel

genannt wird, sorgt für eine besondere Sensibilität im

Umgang mit dem Land. Kritik an der israelischen Poli-

tik vernachlässigt jedoch oftmals nicht nur diesen Kon-

text, sondern vergisst zuweilen auch, dass das Land seit

seiner Gründung mit Existenzängsten zu kämpfen hat:

Viele politische und gesellschaftliche Strukturen lassen

sich nur vor dem Hintergrund verstehen, dass Israel von

feindlich gesinnten Staaten und Bevölkerungen umgeben

war und es in großen Teilen noch immer ist. Der jüdische

Staat sieht sich dabei mit Kräften konfrontiert, die ihn am

liebsten von der Landkarte getilgt sähen und dies zumTeil

offen kommunizieren.

Und doch formulierte die deutsch-jüdische Autorin

Mirna Funk im Sommer 2017 etwas genauso Schlichtes

wie Wichtiges, als sie schrieb: „In Israel gibt es Entrech-

tung und Rechte, Rassismus und Toleranz, Egoismus und

Altruismus wie in jedem anderen Land der Welt auch.

Die einzige Form, angemessen auf Israel zu reagieren, ist,

genau das zu sehen und nicht entweder zu behaupten,

also die Juden müssten es ja besser wissen, weil Holocaust,

oder die armen Juden und diese aggressiven Araber.“

1

Des-

halb erzählt dieser Text von ganz verschiedenen Menschen

aus der Mitte der israelischen Gesellschaft. Dabei sind

ihm Grenzen gesetzt: Ein Magazin hat nicht die Kapazi-

täten einer wissenschaftlichen Monographie. Die Auswahl

der Gesprächspartner kann daher nicht repräsentativ sein,

doch sie versucht ein breites Bild zu zeichnen.

1, 2 oder 3? Die Frage nach der Staatlichkeit

Jerusalem im Mai 2017: In einem der zahlreichen Bespre-

chungsräume der Knesset, des israelischen Parlaments,

findet ein Gespräch, nun, eigentlich ein Monolog, statt.

Die Informationen, die hier geteilt werden, dürfen nicht

namentlich zitiert werden. Der Gesprächspartner, der sich

zum Boten der Hoffnungslosigkeit aufschwingt, gehört

dem konservativen Parteienbündnis

Likud

(„Zusammen-

schluss“) an, der derzeit größten Regierungsfraktion Isra-

els, die mit Benjamin Netanyahu auch den Ministerprä-

sidenten stellt. Der Abgeordnete nennt die Knesset den

„heiligsten Platz für säkulare Israelis“. Er selbst ist nicht

religiös, was ihn nicht daran hindert, am Revers seines

fein geschnittenen Anzugs einen Button zu tragen, der das

Westjordanland zeigt – allerdings nicht als Gebiet eines

zukünftigen palästinensischen Staates, sondern als Judäa

und Samaria, Begriffe, die den jüdischen Anspruch auf das

Territorium im Subtext führen. Die biblischen Orte sind

längst zu Kampfbegriffen in der Auseinandersetzung mit

den Palästinensern geworden.

1 Mirna Funk: Antisemitismus? Gibt es nicht, in: Zeit Online, 14.06.2017,

http://www.zeit.de/freitext/2017/06/14/antisemitismus-dokumentation-

funk/ [Stand: 20.09.2017].