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Einsichten und Perspektiven 3 | 17
integrale Einheit und in sich geschlossenen ostslawischen
Kulturraum wahr. Daher sprachen sie denWeißrussen sowie
Ukrainern die kulturelle Eigenständigkeit ab. Als sich unter
dem Einfluss des Schriftstellers Taras Ševčenko (1814-1861)
und des Historikers Mychajlo Hruševskyj (1866-1934)
begann, eine eigene ukrainische Sprache, Literatur und
Geschichte zu entwickeln, diskreditierten russische natio-
nale Kräfte das Ukrainische als Bauerndialekt.
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Unter der von Petersburg aus betriebenen Homogeni-
sierung und Russifizierung litt auch die 1802 von Balten-
deutschen in Estland gegründete deutschsprachige Uni-
29 Andreas Kappeler: Kleine Geschichte der Ukraine, München
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2014, S.129-
144.
versität Dorpat. Sie hatte sich zur Mittlerin zwischen der
russischen und der deutschen Kultur entwickelt. Gleich-
zeitig war sie der Geburtsort der estnischen und lettischen
nationalen Erweckung. Das sorgte in Kreisen der russi-
schen Öffentlichkeit und Regierung bald für Beunruhi-
gung. Seit 1882 musste an der Universität Dorpat deshalb
die Lehre mit wenigen Ausnahmen auf Russisch gehalten
werden. Ein Jahrzehnt später wurde die deutsche Univer-
sität Dorpat sogar in die russische Universität Jur’ev umor-
ganisiert und verlor dadurch die Mehrzahl der deutsch-
sprachigen Professoren, Dozenten und Studenten.
30
30 Erich Donnert: Die Universität Dorpat-Jur‘ev 1802–1918. Ein Beitrag zur
Geschichte des Hochschulwesens in den Ostseeprovinzen des Russischen
Reiches, Frankfurt am Main 2007.
Der Russische Revolutionszyklus, 1905-1932
Demonstration national gesinnter Polen in Warschau, 1905
Foto: ullsteinbild