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Einsichten und Perspektiven 3 | 17

fikküste die Hafenstadt Vladivostok. Der Bedeutung ihres

Namens entsprechend („Beherrsche den Osten!“), wurde

Vladivostok 1900 zum Heimatstützpunkt der russischen

Pazifikflotte und 1903 zur Endstation der Transsibirischen

Eisenbahn. Damit stieg die neue Stadt zum Tor Sibiriens

und Russlands in die pazifische Welt auf.

6

Der russische Kolonialdiskurs erhob damals den Amur

zum „asiatischen Mississippi“. Während die Russen in

Europa nur als Trabanten, Sklaven und Tataren angesehen

würden, so der bekannte Schriftsteller Fedor Dostoevskij

(1821-1881), könnten sie in Asien als Europäer und Her-

ren auftreten und hier sowohl den hohen Stand ihrer Kul-

tur als auch ihre Fähigkeit zu fortschrittlichem Handeln

beweisen. Diese imperialen Visionen dienten einem kom-

pensatorischen Nationalismus, um sich im Vergleich mit

den angeblich „Unzivilisierten“ an der eigenen Peripherie

kulturelle Überlegenheit zu attestieren und so den quälen-

6 John J. Stephan: The Russian Far East. A History, Stanford 1994, S. 43-50

u. 81-90; Birgitta M. Ingemannson: Vladivostok – Russia’s Frontier Town

on the Pacific, in: Eva-Maria Stolberg (Hg.): The Siberian Saga. A History

of Russia’s Wild East, Frankfurt am Main 2005, S. 119-130.

den Makel der Rückständigkeit gegenüber Westeuropa zu

kaschieren.

7

Der Vorstoß im Fernen Osten brachte Russland zuneh-

mend in Konflikt mit Japan. Noch um die Mitte des 19.

Jahrhunderts lebte das Inselreich fast völlig von der Außen-

welt abgeschlossen. Doch dann erschien im Juli 1853 ein

amerikanischer Flottenverband in der Bucht von Tokyo

und erzwang ultimativ den Abschluss eines Handelsver-

trages. Diese gewaltsame Öffnung stürzte Japan in eine

tiefe Krise. 1868 ergriff schließlich eine Gruppe reformeri-

scher Samurai die Herrschaft. Mit ihrer Meiji-Revolution

schufen sie ein modernes Steuer-, Finanz- und Handels-

wesen und bauten mit amerikanischer sowie europäischer

Hilfe sowohl eine leistungsstarke Industrie als auch eine

schlagkräftige Armee auf. 1889 erhielt das Land sogar eine

Verfassung. Allerdings importierte Japans Elite auch den

7 Mark Bassin: Imperialer Raum/Nationaler Raum. Sibirien auf der kogni-

tiven Landkarte Rußlands im 19. Jahrhundert, in: Geschichte und Gesell-

schaft 28 (2002), S. 378-403 (Zitat auf S. 391); David Schimmelpennick

van der Oye: Toward the Rising Sun. Russian Ideologies of Empire and the

Path to War with Japan, DeKalb 2001.

Ein zeitgenössisches Foto des Hafens von Vladivostok, in dem ein russisches Geschwader liegt, 1904/05

Foto: szphoto/Scherl

Der Russische Revolutionszyklus, 1905-1932