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Islam in Deutschland
Einsichten und Perspektiven 2 | 15
In Bezug auf die Zusammensetzung des ZMD ist insbe-
sondere die akzeptierte Mitgliedschaft eines Verbandes,
wie der Union der Türkisch-lslamischen Kulturvereine in
Europa e.V. (Türkisch: Avrupa Türk-İslam Birliği, kurz
ATİB) kritisch zu sehen. ATİB ging 1987 als Abspaltung
aus der Föderation der Türkisch-Demokratischen Idealis-
tenvereine in Deutschland (Almanya Demokratik Ülkücü
Türk Dernekleri Federasyonu, kurz: ADÜTDF) hervor.
Bei dieser Föderation handelt es sich um einen Zusammen-
schluss extremer türkisch-nationalistischer Vereinigungen
(auch bekannt als „Graue Wölfe“), die sich der rechtsra-
dikalen türkischen Partei der Nationalistischen Bewegung
(Milliyetçi Hareket Partisi, kurz: MHP) eng verbunden
fühlen. Diese ist ein Verfechter der Türkisch-Islamischen
Synthese, einer Ideologie, nach der Türken und Muslime
ethnisch und religiös über allen anderen Menschen stehen
und die das Ziel eines Großtürkischen Reiches vom Bal-
kan bis Zentralasien unter Führung der heutigen Republik
Türkei anstrebt. Ihre Anhänger sehnen sich also nach dem
„Goldenen Zeitalter“ des Osmanischen Reiches zurück.
Aus diesem Grunde sieht man auf ihren Veranstaltungen
beispielsweise neben der türkischen Nationalflagge auch die
rote Flagge des osmanischen Reiches mit ihren drei weißen
Halbmonden (ähnlich wie die Flagge des Deutschen Kaiser-
reichs neben der bundesdeutschen Flagge auf Veranstaltun-
gen deutscher Rechtsnationalisten zu sehen ist).
Unter Verfechtern der Türkisch-Islamischen Synthese
sind Relativierungen ethnischer Spannungen und Säube-
rungen nicht unüblich: So fordert der ATİB-Vorsitzende
İhsan Öner beispielsweise in einer aktuellen Pressemit-
teilung: „Nehmen Sie Abstand vom Zwang zum ‚Völker-
mord-Bekenntnis.‘“
15
In dieser formuliert er die Ansicht,
dass die Tausenden getöteten Armenier ein Resultat von
durch die Besatzungsmächte des Ersten Weltkriegs ange-
stachelten, inneren Aufständen der Armenier seien und –
durch den Zwang zum Völkermordbekenntnis – den Tür-
ken damit etwas angelastet werde, was diese nicht getan
hätten. 
16
Eine solche Weltsicht ist – vor dem Hintergrund
der deutschen Geschichte und der damit gebotenen Sen-
sibilität in der Aufarbeitung der Folgen rassistischer und
nationalistischer Ideologien – nicht hinnehmbar für einen
Verband, der in der Politik und Gesellschaft unseres Lan-
des mitreden und mitbestimmen will. Daher ist seine
akzeptierte Beteiligung am ZMD überaus fragwürdig.
Nachtluftbild vom Gelände der Baustelle der DITIB-Zentralmoschee in Köln
Nordrhein-Westfalen, Köln, 26. März 2013
Foto: euroluftbild.de/Süddeutsche Zeitung Photo
Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für
Religion e.V. (DİTİB)
Die Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion
(Türkisch: Diyanet İşleri Türk Islam Birliği, kurz: DİTİB)
wurde 1984 in Köln mit dem Ziel der „Koordinierung der
religiösen, sozialen und kulturellen Tätigkeiten der in ihr
organisierten Vereine“ 
17
gegründet. Nach Schätzung der
Deutschen Islam Konferenz vertritt sie als Dachverband
rund 700 bis 900 lokale Vereine,
18
deren Mitglieder fast
ausnahmslos Türkischstämmige sind. 
19
Dies ist darauf zurückzuführen, dass DİTİB auf Initi-
ative des Präsidiums für Religionsangelegenheiten (Tür-
kisch:
Diyanet İşleri Başkanlığı,
kurz
Diyanet)
der Türkei
entstand, um sich um die religiösen Belange der ausgewan-
derten Gastarbeiter in Deutschland zu kümmern. DİTİB
wird bis heute durch dieses Präsidium beaufsichtigt, das
wiederum unmittelbar dem türkischen Ministerpräsiden-
ten unterstellt ist. In der Türkei regelt Diyanet sämtliche
religiösen Belange für die Menschen – unabhängig davon,
ob sie Muslime oder Nichtmuslime sind, der sunnitischen
oder einer anderen Konfession angehören.
15 ATİB: Pressemitteilung „Nehmen Sie Abstand vom Zwang zum ‚Völker­
mord-Bekenntnis‘“, vgl.
[Stand: 02.06.2015].
16 Ebd.
17 DITIB: Dachverband – Gründung und Struktur, vgl.
[Stand:
28.05.2015].
18 DIK: Die Verbände in der DIK, vgl.
/
[Stand: 01.06.2015].
19 Johannes Kandel: Islamische Organisationen im Überblick. Bundeszentrale
für politische Bildung. Bonn, 2005, vgl.
[Stand: 28.05.2015].
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