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Ein erneuter Impuls wurde 1994 durch die Salamanca-Erklärung eingeleitet. Sie war das
Ergebnis der UNESCO-Konferenz „Pädagogik für besondere Bedürfnisse“, die 1994 in Sa-
lamanca stattfand und proklamierte Inklusion als übergeordnetes Ziel der internationalen
Bildungspolitik. 2006 wurde schließlich mit der Verabschiedung der UN-
Behindertenrechtskonvention durch die Generalversammlung der Vereinten Nationen in New
York eine staatliche Verpflichtung zur Inklusion grundgelegt. In Deutschland erlangte diese
Verpflichtung erst 2009 mit der Ratifizierung der Konvention Gültigkeit. Im Gegensatz zur
Integration setzt Inklusion nicht die Anpassungsleistung des jeweiligen Kindes an die beste-
henden strukturellen und organisatorischen schulischen Gegebenheiten voraus, sondern
intendiert eine Anpassung des Schulsystems an die zunehmende Heterogenität der Schüler-
schaft. Ziel der inklusiven Bildungspolitik ist die gemeinsame Teilhabe von Schülerinnen und
Schülern mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf an Bildung und Erziehung. So
sollen auch Kinder mit besonderen Förderbedürfnissen zusammen mit ihren Nachbars- und
Geschwisterkindern wohnortnah in ihrem vertrauten sozialen Umfeld die Schule besuchen
können.
Die sich aus der gemeinsamen, inklusiven Beschulung ergebende neue Sichtweise stellt die
allgemeine Pädagogik aktuell vor eine große Herausforderung. Hier werden derzeit Wege
gesucht, um Herausforderungen mit eigenen Ressourcen und Potentialen zu bewältigen.
Andererseits erreicht die Sonderpädagogik als subsidiär agierende Fachwissenschaft derzeit
ein außerordentlich hohes Ansehen. So wird von Seiten der Regelschulen immer wieder der
Ruf nach sonderpädagogischer Unterstützung laut. Die Sonderpädagogik hat sich seit jeher
dem Subsidiaritätsprinzip verschrieben und wird auch weiterhin die allgemeine Pädagogik
mit sonderpädagogischem Expertenwissen unterstützen. Im Sinne des Dialogs der Partner
werden verschiedene Wege und Modelle des Kompetenztransfers erprobt. Es kann und darf
jedoch nicht Ziel der allgemeinen Pädagogik sein, die Sonderpädagogik als Fachdisziplin zu
ersetzen. Vielmehr werden die herkömmlichen Förderzentren aktuell zu Kompetenzzentren
für Sonderpädagogik weiterentwickelt. Sie bieten nicht nur sonderpädagogische und unter-
richtliche Unterstützung und Beratung bei inklusiver Beschulung an, sondern stellen darüber
hinaus für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf auch weiterhin
einen professionellen Ort der Beschulung dar.
Inklusion eröffnet für Kinder und Jugendliche mit sonderpädagogischem Förderbedarf ganz
neue Möglichkeiten. Dies führt nicht nur bei vielen Eltern, sondern in der ganzen Gesell-
schaft derzeit häufig zu hohen Erwartungen bezüglich schneller und qualitativ hochwertiger
Veränderungen. Nicht selten resultieren daraus Enttäuschung und Frustration. Aber Inklusi-
on kann nicht von heute auf morgen umgesetzt werden. Inklusion erfordert eine gesamtge-
sellschaftliche Entwicklung. Inklusion braucht Zeit. Sonderpädagogik kann damit umgehen,
zwischen euphorischen Erwartungen sowie überschätzten Möglichkeiten, aber auch kriti-