Interview: Weg frei für Lehrkräfte mit Behinderung

Lehrer und Lehrerinnen mit Behinderung erhalten spezielle Förderungen
Lehrer und Lehrerinnen mit Behinderung erhalten spezielle Förderungen

Inklusion ist eines der wichtigsten Themen der bayerischen Bildungspolitik – Inklusion in der Schule bedeutet aber nicht nur, dass behinderte und nichtbehinderte Schüler gemeinsam lernen. Auch Lehrkräfte mit Behinderung sollen mehr zum Alltag gehören. Wir haben mit Alexandra Pfahler gesprochen, die mit einer progressiven Muskelschwäche erfolgreich eine Lehrtätigkeit ausübt. Im Anschluss haben wir Hinweise und Ratschläge zusammengefasst für alle, die auch den spannenden Beruf ergreifen wollen. 

Frau Pfahler, was hat Sie dazu bewogen, Lehrerin zu werden, wie sind Sie auf Ihren Berufswunsch gekommen?

Aufgrund meiner Krankheit brauche ich einen Beruf, in dem ich sowohl stehen als auch sitzen kann. Außerdem brauchte ich einen Beruf, in dem ich die Zeit auch selbst einteilen kann. Deswegen hatte ich mir überlegt, was sinnvoll wäre. Ich gebe zu – es hat auch eine Rolle gespielt, dass der Staat als Arbeitgeber attraktiv ist, auch in Versorgungsfragen. Und so wurde ich Lehrerin. Natürlich war das nicht immer leicht, manchmal war es schon ein bisschen schwierig - weil ich mit der Sprache Probleme hatte.

Haben Sie sich das auf Anhieb zugetraut? Oder hatten Sie Bedenken?

Ich hatte zunächst schon Bedenken. Mein Studium habe ich an der Uni Bamberg begonnen und einfach gedacht: Fängst du erstmal an und wenn es anders kommt, dann kannst du ja immer noch aufhören. Doch nun bin ich mit der Berufswahl und dem Beruf an sich sehr zufrieden.

Wie war das Studium in Bamberg, welche Fächer haben Sie studiert?

Lehrerin Alexandra Pfahler
Lehrerin Alexandra Pfahler

Ich habe im Hauptfach Kunst studiert und im Nebenfach Deutsch, Musik und evangelische Religion. Es war an sich in Ordnung, das Problem waren die baulichen Begebenheiten. Oftmals hatte ich Probleme mit den Bibliotheken. Nicht in allen Gebäuden war ein Aufzug vorhanden. Ich bin also an die Uni gekommen, habe mich so gut wie möglich informiert. Dann hieß es: Der Behindertenbeauftragte wird wegen der Probleme kontaktiert. Ich hatte das Gefühl: Das ist ein Mann, der bestimmt worden ist, weil er bestimmt werden musste. Irgendwie hatte er keine wirklichen Kompetenzen. Ich hätte mir insgesamt ein bisschen mehr Aufklärung gewünscht.

Gab es schon vor Ihrem Studium andere Studierende, die auch mit  Behinderung den Lehrerberuf ergriffen haben? Oder waren Sie ein Vorreiter?

In Bamberg war ich die Einzige, ich fühlte mich ein bisschen so wie eine Art  Unikat. Leider habe ich während meines ganzen Studiums keine Lehramtsstudentin oder Lehramtsstudenten in Bamberg getroffen, die auch behindert waren. Ein Erfahrungs-Austausch hätte mir sicher sehr geholfen.

Welche Erfahrungen haben Sie im Vorbereitungsdienst gemacht?  

Es war super. Ich war sehr, sehr begeistert. Die Seminarlehrerin hat sich fürchterlich gut auf mich eingestellt. Im Examen, sowohl im 1. Examen wie im 2. Examen, habe ich die Erlaubnis bekommen, mit dem Computer zu schreiben. Da meine Kraft durch meine Handmotorik eingeschränkt ist, durfte ich das. Vom Prüfungsamt wurde mir ein Raum zugeteilt, mit einer eigenen Aufsicht und ich durfte sämtliche Sitzungen mit dem Computer schreiben.

Aber sonst wurden mir keine weiteren Hilfen gewährt. Auch im 2. Examen hatte ich wieder die Möglichkeit, mit dem Computer zu schreiben. Ich habe sonst aber meine Vorbereitungszeit normal absolviert. Wenn etwas Schweres zu tragen war, wurde es für mich manchmal bisschen schwierig, in die Schule zu gehen. Aber im Seminar waren alle sehr, sehr hilfsbereit.  

Das hört sich so an, als ob die Erfahrungen größtenteils positiv waren. Wie ist man Ihnen entgegen gekommen?

Ich habe die Erfahrungen gemacht, man muss auch selber wirklich offen sein und um Hilfe bitten. Oft sind die anderen Lehrer oder die Eltern ein bisschen unsicher. Man muss ihnen wirklich ein bisschen die Scheu nehmen. Sobald du selber offen bist und mit der Behinderung offen umgehst, helfen sie. Es war eher die bauliche Seite, die mir Probleme bereitet hat. Aber vom Menschlichen her habe ich gute Erfahrungen gemacht.  

Ist das ein Ratschlag, den Sie anderen Menschen mit Behinderung geben können, die den Beruf der Lehrerin ergreifen wollen?

Dazu muss man sagen, dass ich meine Behinderung schon lange habe. Im Grunde, seit ich zehn, zwölf Jahre alt bin, dann begann diese Muskelschwäche. Es handelt sich um eine progressive Muskelschwäche. Ich hatte eben lange Zeit, mich darauf vorzubereiten und reinzuwachsen. Wenn man von einen Tag auf den anderen behindert wird, etwa durch einen Unfall oder Ähnliches, wird es viel, viel schwieriger, damit zu leben und offen damit umzugehen. Diesen Rat kann ich trotzdem generell geben: Sich aktiv darstellen, aktiv seine Probleme schildern, seine  Bedürfnisse – aber auch was man zurückgeben kann. Aber ich denke, es schafft nicht jeder, es hängt auch sehr von der persönlichen Situation ab.

Eine intakte Schulfamilie ist äußerst wichtig
Eine intakte Schulfamilie ist äußerst wichtig

Jetzt im täglichen Schulalltag – welche Unterstützung erhalten Sie da? Wie meistern Sie das?

Ich habe das Glück, an einer sehr kleinen Schule zu arbeiten. Wenn die Kollegen sehen, ich habe Probleme, dann packen die mit an. Falls ich Hilfe brauche, zum Aufhängen von Bildern oder Ähnlichem, dann helfen sie mir sehr gerne. Zu viele Wege, auch oftmals nur kurz zum Kopieren gehen, so etwas strengt mich schon sehr an. Daher habe ich mich gefreut, als ich von einer Bekannten gehört habe – es gibt diese Möglichkeit einer persönlichen Assistenz. Darauf habe ich mich in Bayreuth im Integrationsamt erkundigt, ob das möglich wäre für mich - jemanden, der mir auch im Alltag hilft. Doch leider wurde mir dort gesagt, ich wäre vom Körperlichen her zu gut gestellt.

Aber ich sollte eine Liste schreiben mit sämtlichen Dingen im Alltag, die mir ein Problem bereitet und dann würden sie mir für jedes Problem Hilfe garantieren. So war es dann auch. Mittlerweile habe ich mein Klassenzimmer für mich eingerichtet. Ich habe einen neuen Schreibtisch bekommen, auf dem eine Kamera aufgebaut ist. Die ist eigentlich für Sehbehinderte geeignet oder gedacht. Nun muss ich nicht mehr stehen und am Overhead-Projektor schreiben, um den Kindern Folien an die Wand zu werfen. Sondern ich kann sitzen und dabei über die Kameras meine Unterrichtsmaterialien auf die Leinwand projizieren. Eine spezielle Leinwand wurde gestellt. Ich nutze nun auch eine Art Rollstuhl, der aussieht wie ein ganz alltäglicher Bürostuhl, aber er funktioniert wie ein E-Rolli. Ich kann mit dem Rollstuhl zu den Kindern hinfahren, wenn sie nach mir rufen. Es ist schon wichtig, dass der Lehrer die Möglichkeit hat, auch mal schnell zu den Kindern hinzufahren. Ich muss sagen, ich habe viel bekommen.

Wie reagieren die Kinder in der Regel auf ihre Behinderung?

Die Kinder sind da wirklich sehr, sehr offen. Gerade die kleinen Kinder, die sind neugierig, gucken und fragen dann auch. Bei alltäglichen Dingen brauche ich halt manchmal eine Hilfe. Etwa, wenn etwas getragen werden muss. Die Kinder verstehen das schon gut – sie tragen mal was für mich oder heben etwas auf. Dafür helfe ich ihnen dabei, Lesen und Schreiben zu lernen. Dann ist es für sie o.k., sie sind total eifrig dabei. Oder wenn im Nachbarzimmer irgendwelche Aufträge zu erledigen sind. Es ist super, muss ich sagen. Da lag das Problem eigentlich eher bei den Eltern. Als ich an die Schule kam, hatte ich das Gefühl - die Eltern schließen vom Körperlichen auf das Geistige. Es waren bei manchen Eltern Hemmnisse da. Zum Teil wurde es mir schwer gemacht. Gott sei Dank stand mein Chef immer hinter mir.

Ich habe dann bei meinen zweiten Turnus, persönlich die Initiative ergriffen und habe offen gesagt: Ja, ich habe die Behinderung und ich habe gemerkt, dass manche Eltern damit Probleme haben. Aber die Kinder, die ich unterrichte, sind sozial auf keinen Fall schlechter gestellt. Bei meinen Kindern werden im Gegenteil die sozialen Fähigkeiten geschult. Für die Kinder ist es im Grunde eigentlich besser. Sie sind gewohnt zu helfen und sie sind gewohnt, auch auf andere zu achten. Aber dies zu vermitteln, war zu Beginn schwer.

Es ist im Alltag in der Schule ja bei jedem Lehrer manchmal so, dass die Schülerinnen oder Schüler etwas nicht verstehen. Entweder vom Akustischen her oder auch vom Verständnis her. Die Kinder müssen lernen, jederzeit nachzufragen, wenn sie etwas nicht verstehen.

Wenn Sie die Möglichkeit hätten, noch einmal von vorne zu beginnen, würden Sie alles noch einmal so machen? Ist der Beruf Lehrerin jetzt ein Wunschberuf?

Eigentlich schon. Was ich gemerkt habe – es ist sehr wichtig, dass man sich als angehender Lehrer oder als Lehrerin mit Behinderung auch selbst informiert. Es gibt viele Möglichkeiten, aber man muss schon selber aktiv sein und die Möglichkeiten ergreifen. Das gilt auch für Hilfen etwa vom Integrationsamt. Es gibt diese Möglichkeiten, aber der Arbeitnehmer muss selber aktiv suchen. Ich wünsche mir, dass auch ein bisschen mehr Öffentlichkeitsarbeit betrieben wird. Damit diese Fördermöglichkeiten, die im Grunde schon gegeben sind, auch bekannter werden. Dann werden es Lehrer mit Behinderung auch leichter haben, wenn sie sehen – es gibt Hilfe, diesen Weg ist schon mal jemand gegangen und er ist gangbar.

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