Magazin Einsichten und Perspektiven (Ausgabe 3/13) - page 69

Die vergessenen Frauen von Aichach
Einsichten und Perspektiven 3 | 13
205
9 100 Jahre – JVA Aichach (wie Anm. 6), S. 100.
10 Ella Lingens: Gefangene der Angst. Ein Leben im Zeichen des Widerstandes, Wien 2003, S. 125.
11 Ebd., S. 134.
12 Ebd., S. 150.
Ankunft in Auschwitz um 1944
Foto: ullstein bild
Manche Gefängnisdirektoren sahen in der Überstellung
auch ein willkommenes Mittel, die Überfüllung ihrer An-
stalt zu verringern. In Aichach hatte Anstaltsdirektor von
Reitzenstein bereits 1937 geklagt, dass die jetzige Belegung
mit 850 Insassen kaum mehr überschritten werden könne.
Im Juni 1943 lag der Gefangenenstand – nach den Trans-
porten – bei 1900!
9
Die Frauen von Aichach wurden in das Frauenla-
ger Auschwitz-Birkenau eingeliefert. Anders als die nicht
zur Arbeit „verwendungsfähigen“ Juden, die sofort in den
Gaskammern getötet wurden, wurden sie im Standesamt
von Auschwitz registriert, von hier wurden später auch die
Totenscheine versandt. Diese Registratur des Todes war ei-
ne der bizarren Facetten dieses Ortes, neben dem KZ-Bor-
dell, dem Mädchenorchester und dem biederen Familienle-
ben der SS-Mitglieder. Das Frauenlager beherbergte zu die-
ser Zeit 20.000 Frauen, die dort unter infernalischen
Bedingungen in Baracken auf faulen Strohsäcken dahinve-
getierten. Zu ihnen gehörte zum Beispiel die 1903 am Te-
gernsee geborene Anna Blumauer, wohnhaft in der Wen-
delsteinstraße Nr. 7 in München. Sie hatte als Hilfsarbeite-
rin bei der Filmfirma „Arnold und Richter“ gearbeitet und
war von einem Sondergericht im Juli 1940 wegen „staats-
feindlicher Äußerungen“ zu einem Jahr und vier Monaten
Haft verurteilt worden. Danach war sie in „Schutzhaft“ ge-
nommen und über das KZ Ravensbrück nach Auschwitz
deportiert worden. Dort stirbt sie im Winter 1943.
Die Wienerin Ella Lingens, die als Ärztin und
„Arierin“ durch ihre Tätigkeit im Krankentrakt überlebte,
beschrieb die Zustände im Frauenlager so: „Das Gros der
Frauen glich hässlichen, alten Skeletten, die sich wie durch
ein Wunder auf den Beinen hielten.“
10
Wer sich nicht ir-
gendwie zusätzliche Nahrung verschaffen konnte, „starb in
Auschwitz in der Regel zwischen dem vierten und dem
zehnten Lagermonat“.
11
Im März 1943, als die Frauen aus
Aichach ins Lager kommen, wütet dort das Fleckfieber.
„Die Mortalität lag bei etwa 80 Prozent“, so Lingens in ih-
ren Erinnerungen, „Tote, Tote, wohin man blickte“.
12
Walburga W. überlebt nicht einmal fünf Wochen in
Auschwitz, sie stirbt am 8. Mai 1943. Die meisten Frauen
aus Aichach teilen ihr Schicksal.
Vier Jahre nach Kriegsende wurde Walburga W.
noch einmal aktenkundig – bei der Staatsanwaltschaft
München I. Die gab am 6. Dezember 1949 der Familie
1...,59,60,61,62,63,64,65,66,67,68 70,71,72
Powered by FlippingBook