aviso - Zeitschrift für Wissenschaft und Kunst in Bayern - page 3

aviso 4 | 2014
Renaissance des zeichnens?
Editorial
Die Welt zeigen... Gabriel Campanario und Omar Jaramillo | Seite 30
»Da gibt es nur das und mich.« | Susanne Liebmann-Wurmer | Seite 38
Dr. Ludwig Spaenle
Bayerischer Staatsminister
für Bildung und Kultus,
Wissenschaft und Kunst
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Editorial
Liebe Leserinnen, Liebe Leser,
Zeichnen ist jedermanns Sache, hat der Kunsthistoriker Eduard
Trier einmal gesagt, und als Zeichensetzen eine der elemen-
taren menschlichen Tätigkeiten. Kinder zeichnen, bevor sie
schreiben, manchmal sogar, bevor sie sprechen. Sie zeichnen
abstrakt, symbolisch, expressiv. Später dann wollen sie es rich-
tig machen, wollen abbilden, was sie sehen, und weil das dann
meistens nicht so recht funktioniert, hören die meisten Men-
schen wieder damit auf und zeichnen als Erwachsene immer
noch wie Kinder. Dabei ist das Zeichnen eine einzigartige und
unersetzliche Kulturtechnik. Auch in der Menschheitsgeschichte
steht die Zeichnung vor der Schrift. Die eigene Zeichenlinie ist
unverwechselbar wie die Handschrift und unmittelbarer seis-
mografischer Ausdruck der momentanen Befindlichkeit und
Konzentrationskraft. Zeichnen ist Erkenntnisgewinn und Ideen-
findung. Galilei, da Vinci, Darwin: Sie alle haben wissenschaft-
liche Beobachtungen und Erkenntnisprozesse in zeichnerischen
Notaten festgehalten und entwickelt. In der digitalen Begeiste-
rung der letzten Jahrzehnte schien das Zeichnen hoffnungslos
veraltet – da analog – wie das Schreiben von Briefen oder auch
das Lesen von Büchern. Doch Totgesagte leben länger: In den
letzten Jahren taucht in den Medien wieder Handgezeichnetes
auf, lassen Zeitungen Artikel illustrieren. Die Graphic Novel ist
zum salonfähigen Genre für Bildungsleser geworden, Hochschul-
symposien befassen sich mit demErkenntniswert des Zeichnens
oder dessen entwicklungspsychologischer und pädagogischer
Relevanz. Die digitalen Medien werden selbst zu Zeichenin-
strumenten und das Internet hat sich als perfekte Plattform für
das Sichtbarmachen von Skizzenbüchern erwiesen. Überhaupt
zeichnet man wieder, auf Reisen, in der eigenen Stadt, wie z. B.
die weltweite Bewegung der Urban Sketchers zeigt. Einfach
nicht totzukriegen, die Zeichnung, und einfach unschlagbar.
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